Rosetta: Entstehung von Gas- und Staubfontänen bei Sonnenaufgang

Vor allem die unregelmäßige Form des Rosetta-Kometen bestimmt die Verteilung von Gas- und Staub in seiner Atmosphäre.

Die Atmosphäre des Rosetta-Kometen ist alles andere als homogen. Neben plötzlich auftretenden Gas- und Staubausbrüchen zeigen sich bei Sonnenaufgang täglich wiederkehrende Strukturen, in denen verdampfendes Gas und mitgerissener Staub strahlenförmig gebündelt sind. Eine neue Studie unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS), die in der Fachzeitschrift Nature Astronomy erschienen ist, macht nun die bizarr zerklüftete, entenförmige Gestalt des Kometen für diese Feinstruktur verantwortlich. Die komplexe Topographie sorgt nicht nur dafür, dass manche Bereiche der Oberfläche mehr Sonnenlicht erreicht als andere. Der genaue Oberflächenverlauf bündelt die Gas- und Staubemissionen stellenweise auch wie eine Art Linse.

Fern der Sonne sind Kometen leblose, eiskalte Brocken. Dringen sie jedoch ins innere Sonnensystem vor, werden sie aktiv: Gefrorene Gase wie etwa Wasser verdampfen und reißen Staubpartikel von der Oberfläche mit. Die Koma entsteht, eine Hülle aus Staub und Gas. Bereits in den Aufnahmen früherer Kometenmissionen wie etwa Giotto, die 1986 den Kometen 1P/Halley passierte, sind innerhalb der Koma Fontänen aus Staub und Gas erkennbar. Diese reichen bis zu mehreren Kilometern ins All. Für Wissenschaftler sind diese Fontänen der Schlüssel zum Verständnis der Aktivität von Kometen. Wann und an welchen Stellen tritt sie auf? Welche Prozesse auf der Oberfläche sind dabei im Spiel? Und was verraten sie über Beschaffenheit und Zusammensetzung von Kometen?

Keine Mission konnte diesen Fragen so detailliert nachgehen wie die Rosetta-Mission der europäischen Weltraumagentur ESA. Von August 2014 bis September 2016 umkreiste die gleichnamige Raumsonde den Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko und erlebte seine Verwandlung vom leblosen zum gas- und staubspuckenden Brocken hautnah mit. Mehr als 70.000 Aufnahmen des wissenschaftlichen Kamerasystems OSIRIS, das unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut wurde, zeugen von dieser Entwicklung. In ihnen finden sich sowohl eruptive, plötzliche Gas- und Staubausbrüche, als auch solche, die über längere Zeit stabil sind. In ihrer jüngsten Veröffentlichung gehen die Forscher des OSIRIS-Teams nun der Aktivität nach, die allmorgendlich bei Sonnenaufgang auf dem Kometen auftritt.  

„Wenn die Sonne über einem Teil des Kometen aufgeht, wird die Oberfläche entlang der Tag-Nacht-Grenze fast augenblicklich aktiv“, erklärt MPS-Forscherin Dr. Xian Shi. „Die Fontänen aus Gas und Staub, die wir dann innerhalb der Koma beobachten, sind sehr verlässlich: Sie finden sich jeden Morgen an denselben Stellen und in ähnlicher Form“, fügt die Erstautorin hinzu. Verantwortlich für diese frühmorgendliche Aktivität ist der Frost, der sich nachts auf der kalten Kometenoberfläche bildet. Sobald die Sonnenstrahlen ihn berühren, beginnt er zu verdampfen.

„Eruptive Gas- und Staubausbrüche lassen sich oft auf eine Stelle an der Oberfläche zurückführen, an der plötzlich gefrorenes Wasser freigelegt wird, etwa durch einen Erdrutsch“,  erklärt Dr. Holger Sierks vom MPS, Leiter des OSIRIS-Teams. „Im Fall der Aktivität bei Sonnenaufgang ist dies anders. Der Frost ist recht gleichmäßig auf der gesamten Oberfläche verteilt.“ Doch warum sind dann die Gas- und Staubemissionen strahlenförmig gebündelt? Warum bilden sie nicht ausschließlich eine homogene Wolke?

Die neue Studie zeigt erstmals ausführlich, dass dieses Phänomen allein durch die ungewöhnliche Form und zerklüftete Topographie des Kometen erklärt werden kann. Dafür werteten die Forscher Aufnahmen der Hapi-Region aus verschiedenen Blickwinkeln aus. Die Region liegt auf dem „Hals“ des Kometen, dem schmalen Verbindungsstück zwischen seinen beiden Teilen. In Computersimulationen versuchten die Forscher, diese Aufnahmen zu reproduzieren, um so die treibenden Prozesse besser zu verstehen.

Dabei erwiesen sich vor allem zwei Effekte als entscheidend. Zum einen liegen einige Regionen auf der Oberfläche tiefer oder im Schatten. Sie werden von den ersten Sonnenstrahlen erst später erreicht. Von den früh und stark beleuchteten Regionen verdampft der Frost hingegen besonders effizient. Zum anderen zeigt sich, dass Vertiefungen und andere konkave Strukturen die Gas- und Staubemission geradezu bündeln – ähnlich wie eine optische Linse.

Gas- und Staubfontänen bei Sonnenaufgang

Einfluss der Beobachtungsgeometrie auf Aufnahmen der Gas- und Staubfontänen

„Die komplexe Form des Rosetta-Kometen erschwert viele Untersuchungen. Für uns ist sie jedoch ein Segen“, so Erstautorin Shi. Auf einem kugel- oder selbst kartoffelförmigen Kometen wären diese Strukturen in der Koma möglicherweise nicht so ausgeprägt. Gas und Staub wären deutlich gleichmäßiger verteilt.

Zudem geht die neue Studie dem Einfluss der Beobachtungsperspektive nach. „Grundsätzlich ist jede Kometenkoma eine dreidimensionale Struktur und jede Aufnahme davon lediglich eine Projektion“, so Sierks. "Dadurch kann leicht ein falscher Eindruck entstehen.“ Die täglich wiederkehrenden Fontänen eignen sich besonders gut, um diesen Effekt deutlich zu machen. Schließlich umkreiste Rosetta den Kometen und betrachtete den Sonnenaufgang über einer bestimmten Region so immer wieder aus verschiedenen Blickwinkeln.

Rosetta ist eine Weltraummission der europäischen Weltraumagentur ESA, die ihr Ziel, den Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko im August 2014 erreichte und mehr als zwei Jahre lang begleitete. Im November 2014 setzte Rosetta eine Landeeinheit auf dem Kometen ab. Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung ist weltweit die Forschungseinrichtung mit der stärksten Beteiligung an der Mission. Unter anderem hat das Institut die Leitung des wissenschaftlichen Kamerasystems OSIRIS und des Massenspektrometers COSIMA.

Das wissenschaftliche Kamerasystem OSIRIS wurde von einem Konsortium unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Zusammenarbeit mit CISAS, Universität Padova (Italien), Laboratoire d'Astrophysique de Marseille (Frankreich), Instituto de Astrofísica de Andalucia, CSIC (Spanien), Scientific Support Office der ESA (Niederlande), Instituto Nacional de Técnica Aeroespacial (Spanien), Universidad Politéchnica de Madrid (Spanien), Department of Physics and Astronomy of Uppsala University (Schweden) und dem Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze der TU Braunschweig gebaut. OSIRIS wurde finanziell unterstützt von den Weltraumagenturen Deutschlands (DLR), Frankreichs (CNES), Italiens (ASI), Spaniens (MEC) und Schwedens (SNSB).

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