Forschungsfelder: Helioseismologie und Asteroseismologie
Helioseismologie: Ein Werkzeug der Sonnenphysik zur Untersuchung des sonneninneren
Millionen von Schwingungen, die durch die Sonnenkonvektion angeregt werden, erlauben es Astrophysikern, ins Innere der Sonne zu blicken, ähnlich wie Geophysiker mit Hilfe von Erdbeben den inneren Aufbau der Erde untersuchen. In den letzten 25 Jahren hat die Helioseismologie eine beachtliche Anzahl an Entdeckungen im Bereich der Sonnenphysik, der stellaren Astrophysik und der fundamentalen Physik hervorgebracht. Die Helioseismologie hat den mit Abstand genauesten Test der Theorie des Sternaufbaus und der Sternentwicklung geliefert. Dieser erforderte insbesondere eine Korrektur des Standardmodells der Teilchenphysik, um das Problem der Sonnenneutrinos zu lösen. Heutzutage ist der spannendste Aspekt der Helioseismologie die Suche nach Antworten auf Fragen bezüglich des Ursprungs und der Variabilität des Sonnenmagnetfeldes, dem wohl wichtigsten ungelösten Problem der Sonnenphysik. Die allgemeine Auffassung ist, dass ein Dynamoprozess den magnetischen Zyklus der Sonne verursacht, wobei magnetische Feldlinien durch Scherbewegungen im Sonneninneren gestreckt und verdreht werden. Die Helioseismologie ist unsere einzige Hoffnung, diese Modellvorstellung zu bestätigen, indem wir innere Massebewegungen sowie asphärische Strukturen und ihre zeitlichen Variationen abbilden. Seit 1996 helioseismologischer Beobachtungen des SOHO-Weltraumteleskopes (eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen ESA und NASA) und dem bodengebundenen Beobachtungsnetzwerk GONG konnte die Helioseismologie bereits Bereiche rotationsbedingter Scherung im Sonneninneren, Variationen der Sonnenrotation in Abhängigkeit des Sonnenzyklus und rätselhafte, quasi-periodische Veränderungen am Boden der Konvektionszone nachweisen.
Die nächsten Fortschritte werden von der lokalen Helioseismologie erwartet, die dreidimensionale Abbildung des Inneren der Sonne liefert. Die lokale Helioseismologie basiert auf der Interpretation von Korrelationen von Schwingungen, die an zwei Punkten der Oberfläche beobachtet werden. Obwohl dieser Forschungszweig noch in der Entwicklung steckt, hat er bereits einen Mechanismus für den Breitentransport von magnetischem Fluss aufzeigen können, der den 11-jährigen Sonnenzyklus bestimmen könnte. Detaillierte, dreidimensionale Karten von Strömungen unterhalb der Sonnenoberfläche werden ein Schlüssel zum Verständnis komplexer magneto-hydrodynamischer Phänomene sein, die die Sonnenaktivität steuern. In einer weiteren Anwendung ermöglicht die lokale Helioseismologie die Entwicklung aktiver Regionen auf der erdabgewandten Seite der Sonne und erlaubt so die frühzeitige Warnung vor schädlichen Ereignissen.
Der Start von SDO im Jahr 2010 war ein wichtiger technologischer Schritt für die Helioseismologie. Mit seiner hohen räumlichen Auflösung über die gesamte sichtbare Sonnenoberfläche erlaubt SDO, die Entwicklung aktiver Regionen auf der Sonne zu verfolgen, wenn sie sich als Folge der Rotation über die Sonnenscheibe bewegen. Noch vor Beendigung dieses Jahrzehnts wird uns zudem der Solar Orbiter der ESA zum ersten Mal Zugang zur inneren Dynamik der Polregionen der Sonne verschaffen.
Um mit dem riesigen SDO-Datenaufkommen von ca. 1TB/Tag zurechtzukommen, wurden beträchtliche Rechen- und Speicherressourcen am MPS angeschafft, um das "German Data Center for SDO" aufzubauen (GDC-SDO). Die Haupteinrichtung, die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und dem Europäischen Forschungsrat (ERC) gefördert wurde, ist heute bereits in Betrieb. Entdeckungen bezüglich der tiefenabhängigen Struktur von Sonnenflecken und der Dynamik der oberen Konvektionszone wurden bereits gemacht. Weitere Fortschritte werden sich, angeregt durch die Methoden der Seismologie der Erde, auf neue Techniken im Bereich der computerbasierten Helioseismologie stützen.
Instrumente: SDO-HMI, GONG, SOHO-MDI
ausgewählte Review-Papers: Dreidimensionale Bildgebung des Sonneninneren
[Ansehen] Review-Paper von Gizon, Birch und Spruit, veröffentlicht in Annu. Rev. Astron. Astrophys. (2010).
[ Ansehen] Review-Paper über Sonnenflecken von Moradi et al., veröffentlicht in Solar Physics (2010).
[ Ansehen] Living Reviews-Paper von Gizon & Birch (2005)
Asteroseismologie: Eine neue Methode der Astrophysik zur Untersuchung des Sternaufbaus
Die Asteroseismologie untersucht globale Schwingungen in entfernten Sternen und tritt momentan in eine sehr spannende Phase neuer Entdeckungen ein. Bei vielen Sternen mit einer breiten Spanne von Massen und Entwicklungsstadien ist bekannt, dass sie Schwingungen aufweisen. In den letzten Jahren wurden große Fortschritte mit dem Betrieb des CNES/ESA-Satelliten CoRoT und der NASA-Mission Kepler gemacht. Beide Teleskope liefern hervorragende asteroseismische Daten für einige Dutzend sonnenähnlicher Sterne.
Stellare Schwingungen haben ein beträchtliches diagnostisches Potenzial und ermöglichen es, die Masse und das Alter von Sternen mit unvergleichlicher Genauigkeit zu messen. Diese Erkenntnis für eine hinreichende Anzahl von Sternen wird unsere Vorstellung von der Sternentwicklung und die Untersuchung galaktischer Entwicklung revolutionieren. Die Asteroseismologie hat außerdem das Potenzial, die innere Rotation von Sternen und die Grenzen von Konvektions- und Ionisationszonen zu bestimmen. Solche Informationen würden helfen, dynamogetriebene Aktivitätszyklen von Sternen und den Zusammenhang zwischen der Sonne und anderen Sternen zu verstehen. Diese spannenden Möglichkeiten zur Untersuchung des Aufbaus, der Entwicklung und der Aktivität von Sternen werden vollständig durch hochpräzise Beobachtungen einer großen Anzahl von Sternen ermöglicht werden.
Die Asteroseismologie von Sternen mit extrasolaren Planeten wird besonders für die Charakterisierung der Eigenschaften der entdeckten Planeten von Nutzen sein. Genaue seismologische Messungen der Massen und Radien dieser Zentralsterne ermöglichen die Bestimmung der Massen und Radien der Transitplaneten. Mit Hilfe der Asteroseismologie kann auch das Alter der Zentralsterne bestimmt werden. Die Kepler-Mission ist ein Weltrauminstrument, das im Jahr 2009 gestartet ist. Es bietet noch nie da gewesene Beobachtungen der stellaren Oszillationen. In dem Bestreben, die Daten so effizient wie möglich zu nutzen gibt es das Kepler Asteroseismic Consortium, welches jedem seiner Mitglieder ein Forschungsthema zugeteilt hat, so auch in der Gruppe "Physik des Inneren der Sonne und sonnenähnlicher Sterne". Bestätigte Planetensysteme werden vollständig charakterisiert durch die Asteroseismologie ihrer Zentralgestirne und nachfolgende Beobachtungen. Beobachtungen von sonnenähnlichen Sternen werden auch dazu beitragen, das bisherige Wissen über das vergangene und das zukünftige Leben unserer Sonne weiter zu vertiefen.
Instrumente: Kepler, CoRoT, SONG
ausgewählte Veröffentlichungen: Erschließung der inneren Struktur der Sonne und sonnenähnlicher Sterne
[ Ansehen] Paper von Metcalfe, ..., Gizon, ..., Stahn et al., veröffentlicht in The Astrophysical Journal Letters (2012).
[ Ansehen] Paper von Ballot, Gizon, ..., Stahn et al., veröffentlicht in Astronomy & Astrophysics (2011).
[ Ansehen] Paper über Messung von differenzieller Rotation mit Asteroseismologie von Gizon and Solanki veröffentlicht in Solar Physics (2004).