Krimi auf der Kometenoberfläche

Interview mit Hermann Böhnhardt, dem wissenschaftlichen Leiter der Rosetta-Landemission, zum Jahrestag der Kometenlandung

9. November 2015

Vor einem Jahr am 12. November um 17.03 Uhr ging im Kontrollzentrum der ESA das erlösende Signal ein: Das Dämpfungssystem von Philae ist aktiviert; die Landeeinheit der Rosetta-Mission auf der Oberfläche des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko aufgesetzt! Doch während das Kontrollzentrum in Jubel versank und Wissenschaftler wie Laien auf der ganzen Welt zur ersten sanften Kometenlandung gratulierten, nahm die Mission einen anderen Verlauf als geplant: Philae konnte sich im Kometenboden nicht verankern, prallte ab und kam erst nach einem etwa zweistündigen Schwebeflug zu einem endgültigen Halt. Weit weg von der anvisierten Landestelle. 60 Stunden lang versorgte das mitgeführte, aufgeladene Batterieset Philae mit Energie und ermöglichte so die ersten wissenschaftlichen Messungen auf einer Kometenoberfläche. Danach versank Philae in einer Art Winterschlaf: Am Landeort gab es nicht genügend Sonneneinstrahlung für den Betrieb und das Aufladen der Sekundärbatterie; zudem kühlte der Lander aus.

Am 13. Juni dieses Jahres sendete Philae wieder ein Lebenzeichen. Der Komet war in der Zwischenzeit näher an die Sonne herangeflogen, Sonneneinstrahlung und Temperatur an der Landestelle gestiegen. Doch die Kommunikation zwischen Rosetta und ihrer Landeeinheit erwies sich als instabil und brach schließlich gänzlich ab. In den folgenden Monaten kreiste Rosetta in solch großer Entfernung um den Kometen, dass ein erneuter Signalaustausch mit Philae sehr unwahrscheinlich war.

Dennoch geht der Philae-Krimi weiter. In den nächsten Wochen soll Rosetta wieder näher an den Kometen heranfliegen und in den Abstandsbereich zurückkehren, in dem im Frühsommer diesen Jahres wenigstens kurzzeitig Kontakt zum Lander bestand. Das Philae-Team hofft deswegen auf weitere Gelegenheiten, Philae Kommandos zu übermitteln und Daten auszutauschen. Und womöglich auf neue Messdaten von der Kometenoberfläche.

Im Interview blickt Dr. Hermann Böhnhardt vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, wissenschaftlicher Leiter der Landemission, zurück auf ein ereignisreiches Jahr, zieht Bilanz der bisherigen Mission und beschreibt die Pläne und Hoffnungen für die nächsten Monate.

War die Landemission im Rückblick betrachtet ein Erfolg?

Böhnhardt: Natürlich. Es ist uns gelungen, die erste Landeeinheit auf einem Kometenkern abzusetzen. Wir haben erstmals direkte Messdaten von einer Kometenoberfläche erhalten und ausgewertet. Die Daten haben schon jetzt unser Verständnis von Kometen verändert und verfeinert. Gleichzeitig muss man zugeben, dass längst nicht alles nach Plan gelaufen ist. Und damit meine ich nicht nur das unerwartete Hüpfen der Landeeinheit. Auch aus wissenschaftlicher Sicht können wir nicht ganz zufrieden sein.

Warum nicht?

Böhnhardt: Wir haben nicht alle Messungen, die für die ersten 60 Stunden geplant waren, erfolgreich durchführen können. Das lag hauptsächlich daran, dass wir Schwierigkeiten hatten, in dieser kurzen Zeit den unerwarteten Standort und die Lage des Landers richtig einzuschätzen. So ist es uns beispielsweise nicht gelungen, eine Bodenprobe zu nehmen und zu untersuchen. Der Bohrer, der dafür vorgesehen war, hat zwar gebohrt. Weil der Lander gekippt steht, hat er aber wahrscheinlich den Boden nicht erreicht. Das wussten wir zu diesem Zeitpunkt nicht. Hätten wir den Körper der Landeeinheit vorher gedreht, sähe das Ergebnis vielleicht anders aus.

Im optimalen Fall sollte Philae nicht nur 60 Stunden, sondern mehrere Wochen, vielleicht sogar Monate Daten sammeln. Da der endgültige Standort nicht genug Sonneneinstrahlung lieferte, um die Batterie aufzuladen, war dies nicht möglich. Wie groß ist dieser Verlust?

Böhnhardt: Wir hatten uns mehr erhofft. So wollten wir verstehen, wie sich der Komet auf seinem Weg in Richtung Sonne verändert. Wir wollten miterleben, wie seine Aktivität zunimmt. Das war nun nicht möglich. Die Messergebnisse, die uns vorliegen, bieten im Vergleich nur eine Momentaufnahme.

Was sind die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Landemission?

Böhnhardt: Aus meiner Sicht sind da in erster Linie die Ergebnisse des Magnetometers ROMAP zu nennen. Die Daten haben gezeigt, dass 67P kein Magnetfeld besitzt. Das hat uns überrascht. Gängigen Theorien zur Folge haben Magnetfelder im frühen Sonnensystem eine wichtige Rolle dabei gespielt, dass sich Staub zu immer größeren Brocken – wie etwa Kometen – zusammengeballt hat. Diese Theorien müssen wir nun überdenken. Und auch die Messergebnisse des Massenspektrometers COSAC finde ich wichtig. Das Instrument konnte eine Vielzahl organischer Verbindungen im Kometenstaub nachweisen.

Als Philae Anfang Juni dieses Jahres wieder aufwachte und Signale zu Rosetta sendete, waren die Hoffnungen zunächst groß, das wissenschaftliche Programm wieder aufnehmen zu können. Was ist dann passiert?

Böhnhardt: So ganz genau wissen wir das bis heute nicht. Mit Sicherheit war Philae in dieser Phase warm genug und wurde wieder mit ausreichend Strom versorgt. Doch die Kommunikation mit Rosetta konnte immer nur für wenige Minuten aufrechterhalten werden. Das reicht leider nicht aus, um die wissenschaftlichen Instrumente gut mit neuen Kommandos zu versorgen und Messdaten zu übertragen. Einige Zeit später ist die Kommunikation dann gänzlich abgebrochen. Den genauen Grund kennen wir allerdings noch nicht. 

Spielt auch die Entfernung zur Raumsonde eine Rolle? Da der Komet seit einiger Zeit besonders viel Staub und Gas ins All spuckt, hält Rosetta ja nun einen „Sicherheitsabstand“ von einigen hundert Kilometern ein.

Böhnhardt: Sicherlich gibt es ein Problem auf Landerseite, das die Kommunikation beeinträchtigt. Gleichzeitig wird es durch den großen Abstand zu Rosetta nicht leichter. Philae steht so ungünstig, dass die Landeeinheit keine freie Sicht 'nach oben', also in Richtung Orbiter hat. In dieser Richtung wäre aber das abgestrahlte Signal am stärksten. So ist es schwieriger, das Signal zu empfangen. Ich schätze, dass Rosetta wieder auf einen Abstand von mindestens 200 Kilometern heranfliegen muss, um Philae zu hören. Viel Zeit haben wir dafür nicht. Ab Februar wird sich der Komet bereits wieder so weit von der Sonne entfernt haben, dass Philae einfrieren könnte. 

Falls eine erneute Kommunikation mit Philae zustande kommt, wie geht es dann weiter?

Böhnhardt: Schon Anfang des Jahres vor dem Aufwachen des Landers hatten wir genaue Pläne ausgearbeitet, welche Experimente in welcher Reihenfolge durchgeführt werden sollen. Da wir nun auf den Strom der Solarzellen angewiesen sind, müssen wir mit relativ wenig Energie auskommen. Wir können die Instrumente deshalb nicht mehr wie direkt nach der Landung gleichzeitig betreiben, sondern müssen sie nacheinander abarbeiten. In der jetzigen Situation müssen wir zudem davon ausgehen, dass es -  wenn überhaupt  - nur noch wenige Gelegenheiten zur Kommunikation geben wird. Wir haben deshalb diese Pläne noch einmal überarbeitet und konkrete Prioritäten gesetzt.

Wie sehen die aus?

Böhnhardt: Die Instrumente CIVA, COSAC und Ptolemy sollen eigentlich Bodenproben analysieren. Ob Philae eine solche noch wird nehmen können, ist ungewiss. Es besteht aber die Möglichkeit, dass die Aktivität des Kometen in den vergangenen Monaten ganz ohne unser Zutun Kometenstaub in die Messvorrichtungen dieser Instrumente getragen hat. Sie sollen deshalb vorrangig ihre Messungen durchführen. Auch APXS soll eine Chance bekommen, die Elementzusammensetzung von Kometenstaub im Instrument zu messen. Zudem räumen wir dem Radioexperiment CONSERT eine hohe Priorität ein. CONSERT konnte bisher nur den „Kopf“ des Kometen durchleuchten und so seinen inneren Aufbau erforschen. Um zu verstehen, ob der Komet aus zwei getrennten Teilen entstanden ist, wäre eine ähnliche Messung für den „Körper“ wertvoll.

Ist aus wissenschaftlicher Sicht eine weitere Landung auf einem Kometen sinnvoll? Ist eine solche Mission geplant?

Böhnhardt: Aus meiner Sicht wäre der nächste Schritt eine Mission, die auf einem Kometenkern aufsetzt, eine Probe entnimmt und diese zurück zur Erde bringt. Die Zusammensetzung, besonders die organischen und mineralischen Bestandteile der Kometenmaterie, lassen sich eigentlich nur so wirklich gut verstehen. Konkrete Pläne dafür gibt es nicht. Sicherlich auch, weil eine solche Mission technisch aufwändig und sehr kostspielig wäre. Kometen haben den Nachteil, dass sie ihre Bahnen weit draußen im Sonnensystem ziehen, sich nicht unbedingt in der Bahnebene der Erde bewegen und deshalb nur nach langer Reise zu erreichen sind. Das macht einen Hin- und Rückflug schwierig, kostet viel Zeit und Geld.

Würde man aufgrund der Erfahrungen mit Philae eine Landeeinheit für eine Kometenlandung heute anders bauen?

Böhnhardt: Die Frage stellt sich so eigentlich nicht. Als Philae in den 90er Jahren entworfen wurde, war aus Masse- und Kostengründen nur ein passiver Lander umsetzbar. Also eine Landeeinheit, die sozusagen nur abgeworfen wird und nicht selbst manövrieren kann. In der Zwischenzeit hat sich viel getan: Die technischen Möglichkeiten haben sich weiterentwickelt und sind günstiger geworden. Heute würde man deshalb sicherlich einen Lander mit eigenem Antrieb und Navigationssystem bauen. Nicht so sehr wegen der Erfahrungen, die wir mit Philae gemacht haben, sondern, weil der technische Fortschritt dies nun erlaubt.

Um Philae ist es nun schon seit einigen Monaten still geworden. Was macht der wissenschaftliche Leiter der Landemission, während er auf ein erneutes Aufwachen wartet?

Böhnhardt: Zum einen bereiten wir uns auf dieses Ereignis so gut wie möglich vor. Zum anderen habe ich nun auch wieder mit bodengebunden Beobachtungen des Rosetta-Kometen mit den Teleskopen des Wendelstein-Observatoriums der LMU München begonnen. Seit August ist 67P von der Nordhalbkugel wieder gut sichtbar. Diese Messungen bieten uns die Möglichkeit, die Beobachtungen von der Erde mit den Beobachtungen von Rosetta in Beziehung zu setzen. Schließlich ist 67P der einzige Komet, den wir aus großer Nähe betrachten können. Wenn wir aber lernen, bodengebundene Daten in Verbindung mit Rosetta-Ergebnissen besser zu interpretieren, ist das eine Hilfe für alle künftigen Kometenbeobachtungen dieser Art. Zudem gibt es Fragestellungen, für die Rosetta tatsächlich zu nah am Kometen ist. Etwa wenn es darum geht abzuschätzen, wieviel Staub und Gas insgesamt der Komet pro Sekunde verliert. Auch dafür ist ein Blick aus größerer Entfernung hilfreich. 

Anmerkung: Rosetta ist eine Mission der Europäischen Weltraumagentur ESA mit Beiträgen der Mitgliedsstaaten und der amerikanischen Weltraumagentur NASA. Rosettas Landeeinheit Philae wurde von einem Konsortium unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) und der französischen und italienischen Weltraumagentur (CNES und ASI) zur Verfügung gestellt. Rosetta ist die erste Mission in der Geschichte, die einen Kometen anfliegt, ihn auf seinem Weg um die Sonne begleitet und eine Landeeinheit auf seiner Oberfläche absetzt.



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