Botschaften von der Kometenoberfläche
Etwa 60 Stunden lang waren die Messinstrumente der Rosetta-Landeeinheit während und nach der Landung im vergangenen Jahr aktiv. Jetzt liegen die ersten Ergebnisse vor.
Der Oberflächenstaub des Rosetta-Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko enthält eine Vielzahl organischer Moleküle. Insgesamt 16 Verbindungen konnten Forscher unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen in Messdaten des Instrumentes COSAC, die kurz nach dem ersten Aufsetzen der Landeeinheit Philae auf der Kometenoberfläche am 12. November 2014 entstanden, nachweisen. Viele der Stoffe gelten als Schlüsselmoleküle für biochemische Reaktionen – etwa bei der Entstehung von Zuckern oder Aminosäuren. Diesen und weiteren Ergebnissen der Landemission von Rosetta widmet das Fachmagazin Science am kommenden Freitag insgesamt acht Artikel. In einem weiteren davon rekonstruieren Forscher unter Beteiligung des MPS den genauen Ablauf der Landung. Die Rechnungen erlauben Rückschlüsse auf Eigenschaften der Kometenoberfläche. Während Philae zunächst in einer weichen, staubigen Region aufsetzte, ist die endgültige Landestelle deutlich härter.
Am 12. November 2014 um 16.34 Uhr setzte Philae, die Landeeinheit der ESA-Raumsonde Rosetta, auf dem Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko in der Landeregion Agilkia auf, prallte ab und kam erst etwa zwei Stunden später nach insgesamt drei Hopsern an der Landestelle Abydos zum Stehen. Etwa 60 Stunden lang führte Philae auf der Kometenoberfläche wissenschaftliche Messungen durch, bevor der Landeeinheit die nötige Energie ausging. Bereits während der Hopser waren einige Messinstrumente aktiv, wie etwa das Instrument COSAC.
Ein Baukasten voll Biochemie
Etwa 0,4 Kubikmeter Staub wirbelte Philae beim ersten Aufsetzen auf der Kometenoberfläche in der Landeregion Agilkia auf. Ein Glücksfall, denn der Staub konnte so in die Öffnung des Instrumentes COSAC an der Unterseite der Landeeinheit gelangen, das während der Landung eigentlich die Gase in der Nähe der Kometenoberfläche „erschnüffeln“ sollte. „Dieser aufgewirbelte Staub ist das ursprünglichste Kometenmaterial, das die Rosetta-Mission und alle vorherigen Kometenmissionen bisher zu fassen bekommen haben“, erklärt Fred Goesmann vom MPS, Leiter des COSAC-Teams. Zwar untersuchen zahlreiche Rosetta-Instrumente den Staub, der mittlerweile eine dichte Hülle um den Kometen bildet. Doch dieser könnte sich auf seinem Weg von der Oberfläche ins All verändern – besonders chemisch.
Insgesamt 16 organische Verbindungen konnten die COSAC-Forscher in dem Oberflächenmaterial nachweisen. Zu ihnen zählen Alkohole, Amine und Nitrile, die bereits – zum Teil durch erdgebundene Beobachtungen – in der Gashülle verschiedener Kometen entdeckt wurden, aber auch die „Neulinge“ Methylisocyanat, Aceton, Propanal und Acetamid. Ein Großteil der Moleküle enthält Stickstoff.
„Insgesamt handelt es sich um einen wahren Baukasten organischer Verbindungen, von denen viele als Ausgangspunkt für wichtige biochemische Reaktionen dienen können“, so Goesmann. So kämen etwa Schlüsselmoleküle für die Synthese von Zuckern, Aminosäuren, Peptiden und Nukleotiden vor. Viele Forscher glauben, dass solche komplexen Moleküle, die als Bausteine des Lebens gelten, einst durch Einschläge von Kometen zur Erde gelangten.
Ob sich auch diese Bausteine des Lebens selbst im Kometenmaterial finden, lässt sich den Messdaten nicht entnehmen. Die Konzentration solch schwerer Moleküle war zu gering, um sie eindeutig zu identifizieren.
„COSAC ist dafür gebaut, gasförmige Stoffe zu untersuchen“, gibt Goesmann zu bedenken. „Wir konnten somit nur solche Verbindungen registrieren, die bei Temperaturen von 12 bis 15 Grad Celsius, die zum Zeitpunkt der Messung im Innern von COSAC herrschten, aus den Staubteilchen verdampften.“ Die Konzentrationen der komplexeren Moleküle waren bei solch milden Temperaturen für einen Nachweis möglicherweise zu gering.
Mindestens ebenso aufschlussreich wie die entdeckten Moleküle sind solche, die fehlen – wie etwa Kohlendioxid und Ammoniak. Kohlendioxid gilt als einer der Hauptbestandteile von Kometeneis; Ammoniak müsste als Ausgangsstoff für die zahlreichen Stickstoffverbindungen einst vorgelegen haben. „Mit diesen beiden Molekülen hatten wir eigentlich fest gerechnet“, so Goesmann. „Ihr Fehlen deutet daraufhin, dass Philae in einer Region niedergegangen ist, aus der solch leicht flüchtigen Stoffe längst verdampft sind“, fügt der Forscher hinzu.
Die COSAC-Forscher hoffen nun, dass sich die Kommunikation zwischen Rosetta und der Mitte Juni wieder erwachten Landeeinheit stabilisiert und COSAC noch einmal aktiv werden kann. Philaes endgültige Landestelle befindet sich wahrscheinlich mehr als einen Kilometer entfernt vom Ort des ersten Aufsetzens. Zudem sind die Temperaturen mittlerweile deutlich gestiegen. „Es wäre also durchaus denkbar, dass eine weitere Messung bisher unentdeckte Moleküle zu Tage fördert“, so Goesmann.
Eine weiche und eine harte Landung
Wie genau ist Philae auf der Oberfläche der ersten Landestelle Agilkia aufgesetzt? Wie ist das kleine Raumschiff abgeprallt und weitergeflogen? Und wie sah die endgültige Landung in der Region Abydos aus? Antworten auf diese Fragen liefern nicht nur die wissenschaftlichen Instrumente von Philae, die während der Landung bereits eingeschaltet waren, sondern auch interne Daten der Landeeinheit selbst. Aus all diesen Puzzleteilen hat ein Forscherteam unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt die Landung im Detail rekonstruiert.
„Dabei geht es uns nicht nur um eine Bewertung der Landung als solche“, erklärt Dr. Reinhard Roll vom MPS, der maßgeblich an der Analyse beteiligt war. „Der genaue Verlauf der Landung lehrt uns viel über die mechanischen Eigenschaften der Kometenoberfläche.“
Die erste Landestelle etwa hat den Aufprall von Philae stark gedämpft: Die Landeeinheit hüpfte nur mit einem Drittel ihrer ursprünglichen Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde weiter. „Nur ein Teil dieser Dämpfung ist dem internen Dämpfungssystem von Philae zuzuschreiben“, so Roll. „Auch der Kometenboden hat beigetragen.“ Zudem hinterließen die Füße von Philae deutliche Abdrücke im Staub.
Insgesamt sprechen die Daten dafür, dass die erste Landestelle Agilkia von einer etwa 20 Zentimeter dicken Staubschicht überzogen ist. Die Druckfestigkeit dieser Schicht dürfte vergleichbar sein mit der von Neuschnee oder der der Daunenfüllung eines Federkissens. Unterhalb könnte sich eine härtere Lage befinden.
Die endgültige Landestelle Abydos zeigt ein völlig anderes Bild. Weder die Füße noch die Eisschrauben von Philae sind dort nennenswert in den Boden eingedrungen; der Hammer des MUPUS-Instrumentes konnte die Oberfläche nicht durchbrechen. Den aktuellen Rechnungen zur Folge dürfte die Festigkeit dieser Oberfläche die der ersten Landestelle um das Zweitausendfache übersteigen.
„Unsere Analysen decken sich mit Ergebnissen anderer Wissenschaftler“, so Roll. Auswertungen von Bildern des wissenschaftlichen Kamerasystems OSIRIS an Bord von Rosetta hatten ergeben, dass beide Landestellen sehr unterschiedlichen morphologischen Regionen zuzuordnen sind. „Offenbar ist der Rosetta-Komet ein ausgesprochen vielseitiger Ort.“
Über Rosetta, Philae und COSAC
Rosetta ist eine Mission der Europäischen Weltraumagentur ESA mit Beiträgen der Mitgliedsstaaten und der amerikanischen Weltraumagentur NASA. Rosettas Landeeinheit Philae wurde von einem Konsortium unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) und der französischen und italienischen Weltraumagentur (CNES und ASI) zur Verfügung gestellt. Rosetta ist die erste Mission in der Geschichte, die einen Kometen anfliegt, ihn auf seinem Weg um die Sonne begleitet und eine Landeeinheit auf seiner Oberfläche absetzt.
COSAC wurde unter Leitung des Max- Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (Deutschland) entwickelt und gebaut. Partner sind das Laboratoire Inter-universitaire des Systèmes Atmosphériques (Frankreich), das Laboratoire Atmosphères, Milieux, Observations Spatiales (Frankreich) und die Universität Gießen (Deutschland). Das COSAC-Projekt wurde finanziell unterstützt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und von der Französischen Weltraumagentur (CNES).