JUICE: Vorbeiflug im Doppelpack
Am kommenden Montag und Dienstag fliegt JUICE nah an Mond und Erde vorbei. Das gewagte Manöver bietet die erste Möglichkeit, wichtige Messungen durchzuführen.
Nach knapp eineinhalbjähriger Reise durchs Weltall steht für die ESA-Raumsonde JUICE Anfang nächster Woche ein Heimatbesuch an: Um auf ihrem Weg zum Jupiter Geschwindigkeit und Kurs anzupassen, fliegt die Raumsonde am Montag und Dienstag, 19. und 20. August 2024, zunächst dicht am Mond und dann an der Erde vorbei. Es ist das erste Mal, dass eine Raumsonde ein Manöver dieser Art wagt. Am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen wird das Ereignis mit Spannung erwartet. Seit Monaten bereiten sich die wissenschaftlich-technischen Teams, die zu zwei der zehn Messinstrumente an Bord beigetragen haben, darauf vor. Der einzigartige Doppelvorbeiflug bietet die erste Gelegenheit, Messungen unter Bedingungen durchzuführen, die denen im Jupitersystem ähneln.
Seit dem Start von JUICE im April vergangenen Jahres waren die Messinstrumente der Raumsonde schon mehrfach aktiv. Die so genannten Checkout-Windows, kurze, mehrtägige Phasen, in denen die Instrumente eingeschaltet sind, erlauben es, erste Probemessungen durchzuführen. „Solche Tests und Messungen sind ausgesprochen wichtig“, erklärt MPS-Wissenschaftler Dr. Markus Fränz, der zum Team des JUICE-Instruments PEP (Particle Environment Package) gehört. „Sie geben uns einen ersten Eindruck davon, ob das Instrument wie erwartet funktioniert und wie es sich unter realen Weltraumbedingungen bewährt“, ergänzt er. Beim bevorstehenden Manöver kommt nun eine neue Zutat hinzu – und zwar im Doppelpack: ein Messobjekt in direkter Nähe. Erst dies schafft eine Situation, die mit der späteren im Jupitersystem vergleichbar ist.
Komplexe Choreographie im All
Damit JUICE bei Ankunft im Jupitersystem vom Gasriesen in die gewünschte Umlaufbahn eingefangen wird, muss die Geschwindigkeit der Raumsonde genau stimmen. JUICE fliegt deshalb in den ersten Jahren der insgesamt achtjährigen Reise zunächst auf einer komplizierten, spiralartigen Bahn durchs innere Sonnensystem und nutzt Vorbeiflüge an Mond, Erde und Venus, um - einer genauen Choreographie folgend - den Kurs zu ändern, abzubremsen und zu beschleunigen. Es ist eine Art Gesamtkunstwerk, an deren Ende die optimale Flugbahn und -geschwindigkeit steht. Während die bevorstehenden Begegnungen mit Mond und Erde die Raumsonde auf einen langsameren Kurs zwingen werden, wird JUICE bei den Vorbeiflügen in den kommenden Jahren Fahrt aufnehmen.
Noch bemerkenswerter: Das geplante Manöver führt zum ersten Mal eine Raumsonde in geringem Abstand an gleich zwei Himmelskörpern vorbei. Am Montag, 19. August 2024, steht zunächst die Stippvisite am Mond an: Um 23.16 Uhr (MESZ) surrt JUICE in einem Abstand von nur 700 Kilometern am Erdtrabanten vorbei. Etwa 24 Stunden später am Dienstag, 20. August 2024, um 23.57 Uhr (MESZ) trennen nur 6807 Kilometer die Raumsonde von der Erde. Selbst die ESA bezeichnet das Manöver als Herausforderung.
Spurengase in der Atmosphäre
Am MPS bereiten sich die wissenschaftlich-technischen Teams in Zusammenarbeit mit ihren internationalen Kolleg*innen seit Monaten auf den Doppelvorbeiflug vor. „Das Checkout-Window im Juli haben wir genutzt, um die Kommandosequenzen für unser Instrument für den Vorbeiflug zu proben“, berichtet Dr. Ali Ravanbakhsh, Projektmager des SWI-Teams am MPS. SWI, das Submillimetre Wave Instrument, das unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut wurde, wird ab dem 19. August 2024 fünfmal für insgesamt 56 Stunden aktiv sein. Im Jupitersystem wird das Spektrometer unter anderem die molekulare Zusammensetzung der Atmosphären des Jupiters und seiner Monde mit höchster Präzision bestimmen. Dies kann beispielsweise helfen die Frage zu klären, ob im Jupitersystem alle Stoffe vorliegen, die für die Entstehung von Leben notwendig sind.
Messungen dieser Art werden beim Erdvorbeiflug geübt. SWI soll dutzende verschiedener Molekülsorten aufspüren, darunter auch vier Spielarten von Wasserdampf, die sich in der Isotopie des Sauerstoffs und Wasserstoffs unterscheiden. Als Isotope bezeichnen Wissenschaftler*innen Varianten derselben Atomsorte, die sich lediglich durch die Anzahl der Neutronen im Kern unterscheiden. „Die Isotopenverhältnisse in der Atmosphäre des Jupiters zu bestimmen, gehört zu den wichtigsten Zielen von SWI“, erklärt der wissenschaftliche Leiter des SWI-Teams, Dr. Paul Hartogh. Dies kann Hinweise auf Entstehung und Entwicklung des Gasriesen geben.
Zudem wird SWI in den nächsten Tagen die globalen Temperaturen und Winde in der Erdatmosphäre messen. Solche Beobachtungen sind auch für das Jupitersystem geplant.
Teamwork mit ARTEMIS-Sonde
Auch das Instrument PEP, zu dem das MPS den Jovian Electron and Ion Sensor (JEI) beigetragen hat, wird den Vorbeiflug für Probemessungen nutzen. PEP soll im Jupitersystem die Energie und räumliche Verteilung geladener und ungeladener Teilchen in der Umgebung des Jupiters und seiner Eismonde bestimmen. Während der bevorstehende Vorbeiflug durch die Magnetosphäre und Strahlungsgürtel der Erde vor allem Kalibrationsmessungen in vertrauter Umgebung ermöglicht, steht am Mond auch Teamwork an. JUICE wird in nur etwa 3200 Kilometern Abstand zu einer der beiden amerikanischen ARTEMIS-Sonden vorbeifliegen, die den Mond seit 2011 umkreisen. „Für Fragestellungen, welche die Plasmaumgebung des Mondes betreffen, ist das ein sehr kleiner Abstand“, erklärt PEP-Teammitglied Dr. Elias Roussos vom MPS. „Das ermöglicht uns, gemeinsame Kalibrationsmessungen mit ARTEMIS-Instrumenten durchzuführen“, fügt er hinzu. Die ARTEMIS-Sonde hat Messinstrumente an Bord, die denen von PEP ähneln. Da sie seit mehr als einem Jahrzehnt im Weltall betrieben werden und ihre Messeigenschaften deshalb gut bekannt sind, sind solche gemeinsamen Messungen besonders wertvoll.