Die Suche nach Philae geht weiter

Wo ist Philae? Neue Auswertungen bieten weitere Hinweise, wo die Landeeinheit der Rosetta-Mission endgültig aufsetzte.

11. Juni 2015

Rosetta und Philae-Wissenschaftler spüren weiterhin dem aktuellen Standort von Rosettas Landeeinheit nach. Nach ihrem ersten Aufsetzen am 12. November vergangenen Jahres folgte ein unerwarteter Schwebeflug über die Oberfläche des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko. Die endgültige Landestelle ist noch immer unbekannt. Wertvolle Hinweise liefern nicht nur Daten, die Philae während des Schwebeflugs und der anschließenden wissenschaftlichen Messungen sammelte. Auch spätere Aufnahmen der Kometenoberfläche, die mit Hilfe von Rosettas wissenschaftlichem Kamerasystem OSIRIS gelangen, spielen eine entscheidende Rolle. Darin lassen sich einige Philae-Kandidaten erkennen.

Während die ESA-Raumsonde Rosetta „ihren“ Kometen derzeit aus größerer Entfernung untersucht, laufen die Bemühungen den endgültigen Standort der Landeeinheit Philae einzugrenzen weiter. Rosetta- und Philae-Wissenschaftler greifen dabei auf eine Vielzahl von Daten zurück, darunter OSIRIS-Aufnahmen der Oberfläche, Messungen des Magnetfeldes und Untersuchungen mit Radiowellen. 

Philae setzte am 12. November vergangenen Jahres um 16.34 Uhr (MEZ) auf der Landestelle Agilkia auf dem „Kopf“ des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko auf. Das entsprechende Signal erreichte die Kontrollstation auf der Erde 28 Minuten später. Doch Philae prallte von der Oberfläche ab; es folgte ein etwa zweistündiger Schwebeflug, bevor die Landeeinheit an ihrem aktuellen Standort niederging. Diese Landestelle trägt den Namen Abydos.

Sowohl die Navigationskameras, als auch das wissenschaftliche und hochauflösende Kamerasystem OSIRIS an Bord von Rosetta konnten die erste Landestelle identifizieren. Zusätzlich lieferte Philaes Kamera ROLIS, die während der Landung senkrecht nach unten blickte, hochauflösende Ansichten dieser Stelle aus einer Entfernung von nur neun Metern. Nach Verlassen der Landestelle Agilkia taucht der weiterfliegende Lander erneut in OSIRIS- und NavCam-Schnappschüssen auf. Eine weitere Aufnahme von OSIRIS, die einige Zeit später entstand, zeigt einen hellen Fleck über dem Horizont der großen Hatmehit-Vertiefung auf dem „Kopf“ des Kometen. Möglicherweise ist dies Philae.

Messungen des Magnetfeldes mit Hilfe von Philaes Instrument ROMAP enthüllten zusätzliche Einzelheiten, darunter präzise Zeitangaben zum weiteren Verlauf des Schwebeflugs. So halten es die Forscher für wahrscheinlich, dass Philae um 17.20 Uhr (MEZ) eine Oberflächenstruktur streifte und danach ins Schlingern geriet. Zu einem dritten Bodenkontakt kam es um 18.25 Uhr (MEZ), gefolgt von einem deutlich kleineren Hüpfer, der nur wenige Minuten währte. Um 18.32 Uhr (MEZ) setzte Philae auf der Landestelle Abydos auf. Insgesamt dürfte sich Philae mehr als einen Kilometer von der Stelle des ersten Bodenkontakts entfernt haben.

Aufnahmen, die Philaes Kameras ROLIS und CIVA während der anschließenden fast 60-stündigen wissenschaftlichen Messungen gelangen, zeichnen ein erstes Bild der Landestelle. Philae befindet sich demnach in sehr rauem Terrain, möglicherweise gegen eine Klippe gekippt und weitestgehend im Schatten.

In den Tagen und Wochen nach der Landung bemühte sich das OSIRIS-Team weiter, Philae in neuen Aufnahmen der Landeregion zu finden. Dies hat sich als äußerst knifflige Aufgabe erwiesen, die durch das zerklüftete Terrain, die geringen Abmessungen der Landeeinheit und der großen Entfernung von Rosetta zum Kometen erschwert wird.

Die Aufnahmen der Landeregion mit der höchsten Auflösung, die nach der Landung entstanden, stammen von Mitte Dezember 2014. Etwa 18 Kilometer trennten Rosetta zu diesem Zeitpunkt von „ihrem“ Kometen. Bei dieser Entfernung bietet die OSIRIS-Telekamera eine Auflösung von 34 Zentimetern pro Pixel. Der Körper von Philae misst nur einen Meter im Durchmesser, während die drei dünnen Beine sich etwa 1,4 Meter vom Mittelpunkt aus erstrecken. Berücksichtigt man die Größe, Reflektivität und Orientierung von Philae sowie die intrinsische Auflösung der Kameraoptik, dürfte Philae in diesen Aufnahmen nicht mehr als einige Pixel überdecken.

In Aufnahmen vom „Kopf“ des Kometen hat das OSIRIS-Team dennoch einige erste Kandidaten entdeckt: helle Flecken, die nur wenige Pixel breit sind. Es bleibt allerdings die Frage, ob einer dieser Kandidaten wirklich Philae ist.

Zum Glück gibt es weitere Informationen. Aus OSIRIS-Bildern konnten die Forscher die Flugrichtung bestimmen, in der Philae die erste Landestelle verließ. Radiosignale, die das CONSERT-Experiment nach der Landung zwischen Rosetta und Philae austauschte, schränken die Möglichkeiten für Philaes endgültige Landestelle weiter ein. Aus Messungen der Signallaufzeit zwischen Rosetta und Philae, der bekannten Flugbahn von Rosetta und dem derzeit besten Modell der Form des Kometen konnte das CONSERT-Team diese Stelle auf eine Ellipse eingrenzen. Sie liegt direkt am Rand des Hatmehit-Beckens und misst etwa 16 Meter mal 160 Meter.

Die Ellipse zeigt die bisher beste Abschätzung der Region, in der sich Philae voraussichtlich befindet. Sie basiert auf zahlreichen Simulationen. Das CONSERT-Team setzt diese Bemühungen jedoch fort, um die Wahrscheinlichkeit, mit der sich Philae in dieser Region befindet, besser quantifizieren zu können. Die genaue Lage der Ellipse hängt zudem von der genauen Form des Kometen ab. Das entsprechende Modell wird fortwährend verfeinert. Kleinere Korrekturen der Lage der Ellipse sind deshalb möglich.

Die CONSERT-Ellipse schließt die Mehrheit der Kandidaten aus Abbildung 4 aus. Allerdings gibt es mindestens einen Kandidaten in unmittelbarer Nähe sowie weitere in der Umgebung.

„Wir haben mehrere mögliche Lander-Kandidaten in OSIRIS-Aufnahmen identifiziert, sowohl grob in der Region, die CONSERT vorgibt, als auch in der Umgebung“, sagt Holger Sierks vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Leiter des OSIRIS-Teams. „Während unserer Suche im Dezember lag ein Winkel von 90 Grad zwischen Rosetta und der Verbindungslinie zwischen Sonne und Komet. Rosetta flog somit entlang der Tag-Nacht-Grenze. Es ist daher möglich, dass Philaes Solarpanele zwar beleuchtet, wegen des rauen Terrains aus Rosettas Perspektive jedoch nicht zu sehen waren. Dadurch sind sie schwierig, wenn nicht gar unmöglich zu finden“, fügt er hinzu.

Zudem treten helle Flecken häufig auf der Oberfläche des Kometenkerns auf. Viele von ihnen sind nicht von Dauer. So können etwa kleine Regionen des Kerns unter günstigen Belichtungsbedingungen „aufblitzen“. Dadurch sind sie in einigen Aufnahmen zu sehen, nicht aber in anderen.

Um diese Schwierigkeit anzugehen, begannen Forscher um OSIRIS-Teammitglied Phillipe Lamy vom Laboratoire d’Astrophysique de Marseille (LAM) und vom Institut de Recherche en Astrophysique et Planétologie (IRAP) in Frankreich, nach bestimmten Sätze von OSIRIS-Aufnahmen zu suchen. Sie hielten Ausschau nach Ansichten, die vor und nach der Landung unter ähnlichen Beleuchtungsbedingungen aufgenommen wurden. Dadurch verringert sich die Wahrscheinlichkeit, durch das flüchtige Aufblitzen von Oberflächenstrukturen in die Irre geführt zu werden.

Die Wissenschaftler suchten auf diese Weise eine weite Region ab, die auch die erwartete Landestelle einschloss, und identifizierten einen vielversprechenden Kandidaten. Er ist in zwei Aufnahmen, die vom 12. und 13. Dezember 2014 stammen, zu sehen, nicht aber auf solchen vom 22. Oktober 2014. In Abbildung 4 ist dies der Kandidat oben links.

Um mit den „Vorher“-Aufnahmen vergleichbar zu sein, wurden die „Nachher“-Aufnahmen bearbeitet und interpoliert. Dadurch überdeckt der helle Fleck in dieser Darstellung mehr Pixel als in den Originalbildern.

„Obwohl die „Vorher“- und „Nachher“-Bilder mit verschiedenen räumlichen Auflösungen aufgenommen wurden, stimmen topographische Details gut überein - bis auf einen hellen Fleck. Diesen schlagen wir als guten Kandidaten für Philae vor“, so Lamy. „Der Fleck zeigt sich in zwei verschiedenen Aufnahmen von Dezember 2014. Es kann sich folglich nicht um einen Detektorfehler oder ein Staubkorn handeln“, fügt er hinzu.

Doch ist dies wirklich Philae? Dies lässt sich weiterhin nicht mit Sicherheit sagen. Einerseits deuten Analysen, die am Philae Science Operations and Navigation Center (SONC) der franzäsischen Weltraumagentur CNES durchgeführt wurden, darauf hin, dass dieser Kandidat eine Reihe von Randbedingungen erfüllt. Andererseits befindet er sich knapp außerhalb der CONSERT-Ellipse. Wegen der vergleichsweise langen Zeitspanne, die zwischen „Vorher“- und „Nachher“-Bildern verstrichen ist, könnte dieses Objekt auch auf eine physikalische Veränderung auf dem Kometen zurückzuführen sein. So könnte etwa frisches Material freigelegt worden sein. Die geringe Sonneneinstrahlung an dieser Stelle macht solche Veränderungen zwar unwahrscheinlich, nicht aber unmöglich.

Letztendlich sind höher aufgelöste Aufnahmen nötig, um Philae zweifelsfrei aufzuspüren – und somit weitere nahe Vorbeiflüge am Kometen. Wegen der zunehmenden Aktivität von 67P dürfte dies in der nahen Zukunft nicht möglich sein. Im späteren Verlauf der Mission sollte Rosetta jedoch wieder in der Lage sein, nah an den Kometenkern heranzunavigieren.

Ein weiteres Szenario, das die Suche beschleunigen würde: Philae erhält genug Energie, um aus seinem Dornröschenschlaf aufzuwachen und setzt seine Untersuchungen auf dem Kometen fort. CONSERT könnte dann weitere Messungen durchführen und die Unsicherheiten bezüglich Philaes Aufenthaltsort deutlich verringern.

Derzeit schläft Philae noch. Das Philae-Team ist jedoch zuversichtlich, dass Philae in den nächsten Wochen oder Monaten genug Energie erhält, um aufzuwachen und ein Signal an Rosetta zu senden.

Anmerkungen:
Dieser Text entstand durch Zusammenarbeit von ESA, CNES, DLR, LAM und MPS.
Der Lander-Kandidat, der vom Team um Phillippe Lamy vom Laboratoire d’Astrophysique de Marseille (LAM) entdeckt wurde, wurde von G. Faury von AKKA Technologies (einem Auftragnehmer von LAM und IRAP) identifiziert. Ebenfalls beteiligt waren E. Jurado und R. Garmier von CS-SI (einem Auftragnehmer von CNES) am SONC, A. Herique und Y. Roger vom CONSERT-Team am Institut de Planétologie et d’Astrophysique in Grenoble und P. Heinisch vom ROMAP-Team am IGEP, Technische Universität Braunschweig.


CONSERT
CONSERT steht für Comet Nucleus Sounding Experiment by Radiowave Transmission. Leiter des Teams ist Wlodek Kofman vom Institut de Planétologie et d’Astrophysiqie de Grenoble (IPAG), Frankreich. Das CONSERT-Instrument wurde entwickelt und gebaut vom IPAG, LATMOS (Laboratoire Atmosphères, Milieux, Observations Spatiales, Frankreich) und MPS (Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung) und wird finanziell unterstützt von CNES, CNRS, UJF, DLR und MPS. 


OSIRIS
Das wissenschaftliche Kamerasystem OSIRIS wurde von einem Konsortium unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Zusammenarbeit mit CISAS, Universität Padova (Italien), Laboratoire d'Astrophysique de Marseille (Frankreich), Instituto de Astrofísica de Andalucia, CSIC (Spanien), Scientific Support Office der ESA (Niederlande), Instituto Nacional de Técnica Aeroespacial (Spanien), Universidad Politéchnica de Madrid (Spanien), Department of Physics and Astronomy of Uppsala University (Schweden) und dem Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze der TU Braunschweig gebaut. OSIRIS wurde finanziell unterstützt von den Weltraumagenturen Deutschlands (DLR), Frankreichs (CNES), Italiens (ASI), Spaniens (MEC) und Schwedens (SNSB).


ROMAP
ROMAP steht für Rosetta Lander Magnetometer and Plasma Monitor. Die beteiligten Einrichtungen sind: Institut für Geophysik und Extraterrestrische Physik, Technische Universität Braunschweig (Deutschland); Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (Deutschland); Hungarian Academy of Sciences Centre for Energy Research (Ungarn); Space Research Institute Graz (Österreich). Wissenschaftliche Leiter sind Hans-Ulrich Auster (TU Braunschweig) und István Apáthy (KFKI, Budapest, Ungarn). 


ROLIS
ROLIS (ROsetta Lander Imaging System) ist eine Kamera der Landeeinheit Philae. Sie wurde entwickelt vom Institut für Planetenforschung des DLR, Berlin.  

Rosetta ist eine Mission der Europäischen Weltraumagentur ESA mit Beiträgen der Mitgliedsstaaten und der amerikanischen Weltraumagentur NASA. Rosettas Landeeinheit Philae wurde von einem Konsortium unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) und der französischen und italienischen Weltraumagentur (CNES und ASI) zur Verfügung gestellt.

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