Landschaftswandel auf dem Rosetta-Kometen
Der Rosetta-Komet beginnt sich unter dem Einfluss der Sonne zu verändern. Auf seiner Südseite sind zwei große beckenförmige Vertiefungen entstanden.
Eine der markantesten Landschaften auf der Unterseite des Rosetta-Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko existiert nicht mehr. Die zunehmende Sonneneinstrahlung hat die weite, glatte Ebene zwischen zwei Ansammlungen riesiger Brocken in der Region Imhotep in der Zeit von Mai bis Juli dieses Jahres völlig umgestaltet: Statt eines auffälligen, gezackt verlaufenden Steilhangs erstrecken sich dort nun zwei große beckenförmige Vertiefungen. Dies sind die ersten sichtbaren Oberflächenveränderungen auf dem Kometen, die OSIRIS, das wissenschaftliche Kamerasystem an Bord der Rosetta-Sonde, bisher dokumentieren konnte. Forscher des OSIRIS-Teams berichten von ihrem Fund in einer aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics.
Seit der Ankunft der ESA-Raumsonde Rosetta am Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko im August vergangenen Jahres hat sich der merkwürdig geformte Körper deutlich verändert: Unter dem Einfluss der Sonne ist aus einem leblosen Brocken ein aktiver Komet geworden, der mengenweise Staub und Gas ins All spuckt. Zwar gehen Forscher davon aus, dass dieser stetige Materialverlust auch die äußere Form eines Kometen nach und nach verändert. Anzeichen einer solchen Umgestaltung ließen sich bisher jedoch nicht eindeutig ausmachen.
Bis jetzt. Ende Mai, also knapp drei Monate bevor der Komet seinen sonnennächsten Punkt erreichte, setzte in der Region Imhotep eine Verwandlung ein. „Die Erosionen beginnen als kleine, runde Vertiefungen, die dann um sich greifen und sich nach und nach ausdehnen“, beschreibt Olivier Groussin vom Laboratoire d’Astrophysique de Marseille, Erstautor der neuen Studie. Fünf solcher Stellen, zwei größere mit Durchmessern von zuletzt 140 und 220 Metern und drei kleinere, konnte der OSIRIS-Wissenschaftler beobachten.
„Dies ist das erste Mal, dass wir mitverfolgen können, wie sich eine Kometenoberfläche Schritt für Schritt entwickelt“, so Holger Sierks vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Leiter des OSIRIS-Teams und Zweitautor der Studie. Zum Vergleich: Die Veränderungen, die sich zwischen 2005 und 2011 auf der Oberfläche des Kometen 9P/Tempel 1 vollzogen, sind lediglich durch zwei, sechs Jahre auseinanderliegende Schnappschüsse der Raumsonden Deep Impact und Stardust belegt. Rosetta macht nun erstmals sichtbar, wie sich solche Veränderungen vollziehen.
Bisher beschränkt sich die Umgestaltung auf ein Gebiet mit einer Größe von 0,8 Quadratkilometern in der Region Imhotep, die eine gleichmäßige Staubschicht überzieht. Die gesamte Unterseite des Kometen erreichte im Frühsommer dieses Jahres besonders viel Sonnenstrahlung. Die Ausgangsstellen der Erosion dürften zudem besonders warm gewesen sein: Sie erhalten bereits am Morgen Sonnenlicht; mittags steht die Sonne über ihnen im Zenit. In allen fünf Fällen handelt es sich zudem um kleine Unregelmäßigkeiten in der glatten Ebene: kleinere Klippen, Ränder oder Böschungen. Die Forscher vermuten, dass die oberflächliche Staubschicht dort dünner ausfällt. Die gefrorenen Gase, die darunter verborgen sind und sich durch eine leicht bläuliche Färbung dieser Gebiete bemerkbar machen, heizen sich so besonders schnell auf. Sie verdampfen und reißen Brocken aus Staub und Gestein mit sich. Etwa 40 Prozent der Ebene hat sich auf diese Weise nun erneuert.
„Erstaunlicherweise hat dennoch der Ausstoß winziger Staubteilchen über der Region nicht deutlich zugenommen“, so Sierks. Das zeigen OSIRIS-Aufnahmen, welche die Umgebung des Kometen abbilden. Wo ist das erodierte Material? Möglicherweise hat der Komet zusätzlich etwas größere Staubteilchen mit einem Durchmesser von einigen Millimetern ins All gespuckt. Solche Teilchen sind in OSIRIS-Aufnahmen nicht gut zu erkennen. „Wahrscheinlich waren zudem einige Brocken, die aus der Oberfläche herausgerissen wurden, zu groß und schwer, um ins All zu entweichen“, erklärt Groussin. Sie fliegen nur ein Stück weit und fallen dann zurück auf die Oberfläche. Da der Kometenkern zudem sehr porös ist, könnte ein Teil des freigesetzten Staubs in Ritzen und Rissen abgesackt sein.
Die neuen Beobachtungen zeigen eindrucksvoll, welchen Schwierigkeiten Forscher beim Kartographieren und Beschreiben von Kometenoberflächen begegnen. Anders als etwa bei Asteroiden, die zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter um die Sonne kreisen, erhalten bei Kometen Oberflächenstrukturen wie etwa Krater oder Berge in der Regel keine offiziellen Namen. „Kometenoberflächen sind im Fluss“, so Sierks. Selbst der riesige Brocken Cheops [KDB1]etwa, der derzeit den Nullmeridian auf dem Rosetta-Kometen markiert und somit die gesamte Einteilung der Oberfläche in Breitengrade regelt, liegt ganz in der Nähe des veränderten Gebiets. Es ist denkbar, dass auch seine Gestalt nicht von Dauer sein wird.
In den nächsten Monaten wollen die OSIRIS-Forscher die Oberflächenveränderungen auf dem Rosetta-Kometen weiterverfolgen. „Bisher steht nur eins fest“, so Sierks. „Der Komet, von dem wir uns im Herbst 2016 verabschieden werden, wird nicht mehr derselbe sein, den wir im August 2014 kennengelernt haben.“
Rosetta ist eine Mission der Europäischen Weltraumagentur ESA mit Beiträgen der Mitgliedsstaaten und der amerikanischen Weltraumagentur NASA. Rosettas Landeeinheit Philae wurde von einem Konsortium unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) und der französischen und italienischen Weltraumagentur (CNES und ASI) zur Verfügung gestellt. Rosetta ist die erste Mission in der Geschichte, die einen Kometen anfliegt, ihn auf seinem Weg um die Sonne begleitet und eine Landeeinheit auf seiner Oberfläche absetzt.
Das wissenschaftliche Kamerasystem OSIRIS wurde von einem Konsortium unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Zusammenarbeit mit CISAS, Universität Padova (Italien), Laboratoire d'Astrophysique de Marseille (Frankreich), Instituto de Astrofísica de Andalucia, CSIC (Spanien), Scientific Support Office der ESA (Niederlande), Instituto Nacional de Técnica Aeroespacial (Spanien), Universidad Politéchnica de Madrid (Spanien), Department of Physics and Astronomy of Uppsala University (Schweden) und dem Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze der TU Braunschweig gebaut. OSIRIS wurde finanziell unterstützt von den Weltraumagenturen Deutschlands (DLR), Frankreichs (CNES), Italiens (ASI), Spaniens (MEC) und Schwedens (SNSB).