Rundumblick auf die Sonnenteilchen
Gemeinsame Beobachtungen dreier Raumsonden ermöglichen es erstmals, Teilchenströme von der Sonne und ihre Quelle langfristig zu verfolgen.
Die meisten Raumsonden, welche die Sonne erforschen, kreisen in großer Nähe zur Erde um unser Zentralgestirn. Das Sonnenobservatorium SoHO etwa trennen nur 1,5 Millionen Kilometer von der Erde; das Solar Dynamics Observatory ist ein Erdsatellit. Solch nahe Standorte im All sind zwar beispielsweise für die Kommunikation zwischen Sonde und Bodenstation günstig, bieten jedoch einen entscheidenden Nachteil: Nur die Seite der Sonne, die sie uns gerade zuwendet, liegt im Blickfeld; die Rückseite bleibt stets verborgen. Durch die Zwillingssonden STEREO A und B hat sich diese Situation nun grundlegend geändert. Seit acht Jahren nutzen die beiden Sonden nahezu dieselbe Umlaufbahn um die Sonne wie die Erde: Die eine Sonde eilt der Erde voraus, die andere hinkt hinterher. Dabei driften die STEREO-Zwillinge von Jahr zu Jahr weiter auseinander. Anfang 2011 lagen sie einander genau gegenüber – und hatten so gemeinsam erstmals freie Sicht auf die komplette Sonne, die genau zwischen ihnen lag.
„Zusammen mit Sonden in Erdnähe ist es nun möglich, alle Seiten der Sonne gleichzeitig im Blick zu halten“, erklärt Radoslav Bučík vom MPS. „Auf diese Weise können wir erstmals langfristige Prozesse ohne Unterbrechung verfolgen“, so der Physiker. Zusammen mit Kollegen von der Johns Hopkins University (USA) und der Universität von Alcalá (Spanien) spürten die MPS-Forscher in ihrer jüngsten Veröffentlichung dem seltenen Helium-Isotop Helium 3 nach, das die Sonne gelegentlich ins All emittiert.
Helium 3 ist nicht nur in der Sonnenmaterie, sondern im gesamten Sonnensystem ein Exot: Das schwerere Helium 4, dessen Kern aus zwei Protonen und ebenfalls zwei Neutronen besteht, tritt etwa 10 000 Mal so häufig auf. Auch der Sonnenwind, der stetige Teilchenstrom von der Sonne, spiegelt dieses Verhältnis der beiden Spielarten des Heliums wieder. Doch die Sonne kann auch anders: Gelegentlich wird sie zu einer wahren Helium 3-Schleuder. Für einen begrenzten Zeitraum entweicht dann stellenweise ein Teilchenstrom mit einer stark erhöhten Konzentration des seltenen Isotops.
„Offenbar gibt es einen Mechanismus auf der Sonne, der bei diesen Ereignissen Helium 3 deutlich wirksamer ins All beschleunigt als andere Teilchen“, erklärt Bučík. Wie dieser Mechanismus funktioniert, ist jedoch noch völlig unklar. Ein Problem: Bisher ließen sich die Teilchen maximal einen Tag lang verfolgen. Da sich die Sonne dreht, beschreiben die Teilchen eine Art Spiralbahn vergleichbar mit dem Wasserstrahl eines rotierenden Rasensprengers. Nach nur wenigen Stunden verschwanden sie deshalb aus dem Blickfeld des jeweiligen Messinstruments. Erst die neue Beobachtungsgeometrie der STEREO-Sonden bot die Hoffnung auf einen tieferen Einblick.
Gleich zwei Gelegenheiten dazu boten sich im Juli 2011. Die Messdaten haben die Forscher nun ausgewertet. Am 1. Juli registrierte STEREO B mit dem Massenspektrometer SIT eine deutlich erhöhte Konzentration von Helium 3. Am 7. Juli tauchten die Teilchen im Messfeld des Teilchenspektrometers ULEIS der Raumsonde ACE in Erdnähe auf. Als Quelle konnten die Forscher eine spezielle aktive Region auf der sichtbaren Oberfläche der Sonne identifizieren. Solche Regionen befinden sich oftmals in der Nähe eines Sonnenflecks und weisen hohe Magnetfeldstärken auf. Am 9. Und 16. Juli zeichneten ACE und STEREO A erneut erhöhte Werte auf. Auch hier konnten die Forscher in Rechnungen die selten Isotope bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen.
„Dass helium-3-reiche Ereignisse mehrere Tage anhalten können, war eine große Überraschung“, so Bučík. Offenbar sind im Sonnenplasma die notwendigen Bedingungen über lange Zeit stabil. Dies könnte ein wichtiger Hinweis sein und helfen, den zugrunde liegenden Beschleunigungsmechanismus zu identifizieren. „Diesen Mechanismus zu verstehen, hat weitreichende Konsequenzen“, ergänzt Bučík. „Er könnte uns helfen zu verstehen, wie es der Sonne grundsätzlich gelingt, Teilchen in so genannten Flares ins All zu schleudern.“