Erste Aufnahmen des Südpols der Sonne
Als erste Raumsonde schaut Solar Orbiter auf die Pole der Sonne – und findet das Magnetfeld dort im Ausnahmezustand. Aktuell polt sich das Magnetfeld der Sonne um.
Bei ihrem jüngsten Vorbeiflug an der Sonne Ende März dieses Jahres hatte die Raumsonde Solar Orbiter erstmals klare Sicht auf die Pole unseres Sterns. Erste Aufnahmen und Messdaten vom Südpol, die dabei entstanden sind, wurden heute veröffentlicht. Die Pole der Sonne sind bisher weitestgehend unerforscht; keine Raumsonde zuvor hat sie je gesehen. Die Flugbahn von Solar Orbiter verläuft seit Kurzem um 17 Grad gegen den Sonnenäquator geneigt und erlaubt so erstmals Messungen aus einzigartiger Perspektive. Der Zeitpunkt des Vorbeiflugs im März dieses Jahres war optimal. Die Sonne durchläuft gerade das Maximum ihres etwa elfjährigen Aktivitätszyklus. Die Polarität ihres Magnetfeldes schlägt in dieser Zeit um. Wie die neuen Messungen eindrucksvoll zeigen, befindet sich das Magnetfeld an den Polen in dieser Phase im Ausnahmezustand.

Die Daten wurden von drei wissenschaftlichen Instrumenten des Solar Orbiter aufgezeichnet: dem Polarimetric and Helioseismic Imager (PHI), dem Extreme Ultraviolet Imager (EUI) und Spectral Imaging of the Coronal Environment (SPICE).
PHI fängt das von Eisenpartikeln ausgesendete sichtbare Licht (Wellenlänge 617,3 Nanometer, oben links) ein und macht so die Sonnenoberfläche (Photosphäre) sichtbar. Das Instrument kartiert zudem das magnetische Feld an der Sonnenoberfläche entlang der Blickrichtung des Raumfahrzeugs (oben in der Mitte). In dieser Karte zeigt Blau ein positives Magnetfeld an, das zum Raumfahrzeug hin zeigt, und Rot ein negatives Magnetfeld.
EUI bildet die Sonne im ultravioletten Licht (Wellenlänge 17,4 Nanometer, oben rechts) ab und zeigt das Millionen Grad heiße geladene Gas in der äußeren Atmosphäre der Sonne, der Korona.
Das SPICE-Instrument (verschiedene Wellenlängen, untere Reihe) fängt Licht aus verschiedenen Schichten über der Sonnenoberfläche ein, von der Chromosphäre direkt über der Sonnenoberfläche bis hin zur Sonnenkorona.
So gut wie alle Raumsonden, welche die Sonne aus dem Weltall erforschen, blicken aus der Ekliptik auf unseren Stern. Das ist die Ebene, in der die Planeten um die Sonne kreisen. Diese Ebene ist zwar leicht gegen den Sonnenäquator geneigt. Doch der Winkel von etwa sieben Grad reicht nicht aus, um einen klaren Blick auf die Pole unseres Sterns zu erhaschen. Sonnenteleskope auf der Erde haben naturgemäß dieselbe eingeschränkte Perspektive. Allein Ulysses, eine gemeinsame Mission der europäischen und amerikanischen Weltraumagenturen ESA und NASA, überflog in den Jahren zwischen 1990 und 2009 mehrfach die Sonnenpole, allerdings aus deutlich größerem Abstand als Solar Orbiter und ohne bildgebende Instrumente an Bord. Für Forschende sind die Pole der Sonne von besonderem Interesse. Die Vorgänge dort dürften eine entscheidende Rolle im Aktivitätszyklus der Sonne spielen.
Die „innere Uhr“ der Sonne

Die Sonne unterliegt einem etwa elfjährigen Rhythmus. Ungefähr alle elf Jahre durchläuft sie ihr Aktivitätsmaximum. Sie ist dann, wie in den vergangenen Monaten und aktuell, besonders temperamentvoll. Häufig kommt es in dieser Zeit zu heftigen Strahlungs- und Teilchenausbrüchen. In den vergangenen Monaten haben einige davon eindrucksvolle Polarlichter ausgelöst, die selbst in Mittel- und Südeuropa zu sehen waren. Zudem zeigen sich auf der sichtbaren Oberfläche der Sonne in dieser Zeit viele dunkle Sonnenflecke, Gebiete mit besonders hoher Magnetfeldstärke. Zwischen den Aktivitätsmaxima kommt die Sonne zur Ruhe: Eruptionen treten kaum auf und auch Sonnenflecke bleiben oftmals über mehrere Monate am Stück vollständig aus.Die Grundlage des Sonnenzyklus, die „innere Uhr“ unseres Sterns, ist noch nicht verstanden. Das entscheidende, fehlende Puzzlestück zu einem tieferen Verständnis vermuten Forschende an den Polen. Dieses Puzzleteil zu finden, ist eines der wichtigsten Missionsziele von Solar Orbiter.
Zu diesem Zweck nutzte der Sonnenspäher den Schwung vom Vorbeiflug an der Venus vom 18. Februar dieses Jahres, um die Ekliptik zu verlassen. Etwa einen Monat später am 22. März blickte die Sonde erstmals aus einem Winkel von 17 Grad auf die Sonne. „Wir wussten nicht genau, was wir von diesen ersten Beobachtungen erwarten sollten. Die Pole der Sonne sind buchstäblich terra incognita“, sagt Sami Solanki, Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen und Leiter des Teams um Solar Orbiters Instrument Polarimetric and Helioseismic Imager (PHI).
Ein Blick auf Oberfläche, Magnetfeld und Korona
Die heute veröffentlichten Aufnahmen entstanden am 16. und 17. März dieses Jahres, wenige Tage vor Erreichen der höchsten Auslenkung aus der Ekliptik, aus einem Winkel von 15 Grad. Neben PHI fingen auch die Instrumente Extreme-Ultraviolet Imager (EUI) und Spectral Imaging of the Coronal Environment (SPICE) einzigartige Aufnahmen ein. Das MPS hat Teilinstrumente und Hardware-Komponenten zu EUI und SPICE beigetragen; das Doppelteleskop PHI ist unter Leitung des MPS entstanden. Während PHI das sichtbare Licht der Sonne einfängt und so die Oberfläche der Sonne und ihr Magnetfeld dort abbildet, schauen EUI und SPICE auf die höherliegenden Schichten der Sonne bis zur heißen Sonnenkorona. Die Aufnahmen dieser Instrumente können helfen zu verstehen, wie es der Sonne gelingt, die Teilchen des Sonnenwindes ins All zu schleudern.
PHIs Ansicht des Sonnenmagnetfelds von Pol zu Pol
Die Aufnahmen von PHI zeigen das Magnetfeld am Südpol im Ausnahmezustand. Generell ist das Magnetfeld der Sonne deutlich verworrener aufgebaut als das der Erde. Viele kleine, veränderliche und hochkomplexe magnetische Strukturen, die etwa im Zusammenhang mit Sonnenflecken oder an den Polen auftreten, erzeugen das großräumige, globale Magnetfeld der Sonne. Während eines großen Teils des Sonnenzyklus gleicht es dem eines Stabmagneten, wobei die Pole der Sonne in etwa den magnetischen Polen entsprechen. Das globale Magnetfeld polt sich im Aktivitätsmaximum der Sonne, also etwa alle elf Jahre, um. Dabei dürften die kleinen magnetischen Strukturen an den Polen eine wichtige Rolle spielen.
Forschende erwarten, dass sich das Magnetfeld an den Polen im Verlauf des Sonnenzyklus stark verändert. Während dort im Aktivitätsminimum vornehmlich eine magnetische Polarität vorherrschen dürfte, sollte das Magnetfeld im Maximum deutlich komplexer sein. Das bestätigen die aktuellen Messungen. Am Südpol offenbaren die PHI-Messdaten ein unübersichtliches Nebeneinander kleiner Gebiete unterschiedlicher Polarität.
Solar Orbiters Blick auf den Südpol der Sonne
„Solar Orbiter hat seine neue Beobachtungsposition genau zur richtigen Zeit eingenommen“, freut sich MPS-Wissenschaftler und PHI Operations Scientist Johann Hirzberger. „PHI konnte das Magnetfeld am Südpol in einem Schlüsselmoment abbilden“, fügt er hinzu. Das Team ist nun gespannt darauf, in den nächsten Monaten und Jahren mitzuverfolgen, wie sich das polare Magnetfeld umstrukturiert. Aktuelle Prognosen deuten darauf hin, dass die Aktivität der Sonne bis dahin auf insgesamt hohem Niveau leicht abnimmt. Bis Ende 2026 wird Solar Orbiter den Nord- und Südpol der Sonne noch dreimal aus einem Winkel von 17 Grad betrachten können. Ein weiterer Venus-Vorbeiflug am 24. Dezember 2026 wird die Bahn der Sonde weiter neigen, so dass ein Winkel von 23 Grad erreicht wird. Dies wird zu einer noch besseren Sicht auf die Pole führen.
Über die Mission
Die Raumsonde Solar Orbiter, ein gemeinsames Projekt von ESA und NASA, startete im Februar 2020 ins All. Seitdem steuert die Sonde auf langgestreckten Ellipsen um die Sonne herum und erreicht etwa zweimal im Jahr ihren sonnennächsten Punkt. In diesem Punkt trennen Solar Orbiter nur etwa 42 Millionen Kilometer von unserem Stern. Das ist etwas weniger als ein Drittel des Abstandes zwischen Erde und Sonne. In den vergangenen Jahren sind aus dieser Position einzigartige Messungen und höchstaufgelöste Aufnahmen unter anderem der Sonnenkorona entstanden. In etwa zwei Jahren soll sich die Flugbahn der Sonde weiter gegen die Ekliptik neigen und bis zum Ende der Mission schließlich einen Winkel von 33 Grad erreichen.
Das MPS ist an vier der insgesamt zehn wissenschaftlichen Instrumente von Solar Orbiter beteiligt. Zu den Instrumenten EUI, SPICE und Metis hat das Institut Teilinstrumente und Hardware beigesteuert. Das Doppelteleskop PHI wurde unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut.