Sonnenkorona: Genauer Blick auf
Mini-Strahlungsausbrüche

Hell, heiß und überraschend häufig – so zeigen sich die kleinsten „Lagerfeuer“, die Solar Orbiter sichtbar gemacht hat.

27. April 2021

Zu den spannendsten Entdeckungen der ESA-Raumsonde Solar Orbiter gehören kleine, hell aufleuchtende Regionen in der heißen Sonnenkorona, die anderen Raumsonden bisher entgangen waren. Die Mini-Strahlungsausbrüche finden sich in Messdaten des Extreme-Ultraviolet Imagers (EUI), die während der Inbetriebnahme des Instrumentes im All im vergangenen Jahr entstanden. Auf der Jahrestagung der European Geosciences Union (EGU) stellen das EUI-Team, zu dem Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen gehören, und eine weitere Forschergruppe unter MPS-Leitung jetzt erste Untersuchungen und Simulationen des Phänomens vor. Die kleinsten Strahlungsausbrüche treten deutlich häufiger auf als ihre bereits bekannten größeren Verwandten. Sie könnten eines der fehlenden Puzzleteile sein, die nötig sind, die unfassbar heißen Temperaturen in der Sonnenkorona zu erklären.

Streng genommen ist das Solar Orbiter-Instrument EUI noch gar nicht im Dienst. Regelmäßige wissenschaftliche Messungen sind erst ab Ende dieses Jahres vorgesehen, wenn die Raumsonde ihre anvisierte, stark ellipsenförmige Umlaufbahn um die Sonne erreicht haben wird. Doch schon die Daten, die während der technischen Inbetriebnahme des Instrumentes im vergangenen Jahr abfielen, wurden mit Spannung erwartet. Schließlich zeigen die 50 Bilder, die EUI auf etwa halbem Weg zwischen Erde und Sonne aufgenommen hat, die heiße, äußere Hülle der Sonne, die so genannte Korona, in bisher nahezu unerreichter Detailschärfe.

Darin zu erkennen sind zwischen 400 und 4000 Kilometer große Bereiche, die für kurze Zeit extrem kurzwelliges ultraviolettes Licht hoher Intensität abstrahlen. In den Aufnahmen erscheinen sie als winzige, helle Flecken. „Größere Strahlungsausbrüche dieser Art kennen wir bereits aus den Messdaten anderer Raumsonden“, ordnet MPS-Wissenschaftler Dr. Udo Schühle aus dem Führungsteam von EUI die Beobachtungen ein. „Die kleinsten haben wir nun zum ersten Mal gesehen.“ Die EUI-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler bezeichnen die hell aufblitzenden Bereiche als „Lagerfeuer“.

Die Eigenschaften von 1500 solcher Lagerfeuer hat das Team unter Leitung von Dr. David Berghmans von der Königlichen Sternwarte von Belgien nun untersucht und bietet damit die bisher umfassendste Charakterisierung des Phänomens. Die entsprechende Studie erscheint demnächst in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics. Demnach dauern die Strahlungsausbrüche nicht mehr als wenige Minuten an. „Sie erreichen Temperaturen von mehr als eine Million Grad; viele haben eine längliche, gebogene Form“, beschreibt MPS-Wissenschaftler Dr. Luca Teriaca aus dem EUI-Team.

Zudem konnten die Forscherinnen und Forscher für einige der Lagerfeuer berechnen, dass sie in der unteren Sonnenkorona, also etwa 1000 bis 5000 Kilometer über der sichtbaren Oberfläche der Sonne, auftreten. Dafür wertete das EUI-Team weniger hoch aufgelösten Aufnahmen der NASA-Sonde Solar Dynamics Observatory (SDO) aus, die zeitgleich entstanden und die die Lagerfeuer aus einem zweiten Blickwinkel zeigen.

Rätselhafter Temperaturanstieg

Die Region zwischen der unteren und der oberen Sonnenatmosphäre fasziniert Sonnenphysikerinnen und Sonnenphysiker seit Langem. Dort steigt die Temperatur sprunghaft an: von einigen tausend Grad auf mehr als eine Million. Nach wie vor ist ungeklärt, welche Prozesse die dafür notwendige Energie liefern und in Wärme umwandeln. Verschiedene Wellenphänomene, Spikulen, magnetische Prozesse und Strahlungsausbrüche sind nur einige der Verdächtigen.

„Wie wir jetzt sehen, kommen die kleinsten, bisher unentdeckten Strahlungsausbrüche deutlich häufiger vor als die größeren“, erklärt EUI-Teammitglied Dr. Regina Aznar Cuadrado vom MPS. „Es könnte sein, dass ihr Einfluss auf die Koronaheizung bisher unterschätzt wurde“, fügt sie hinzu.

Zeitliche Entwicklung eines solaren Lagerfeuers

Vergleich eines am Computer simulierten solaren Lagerfeuers (links) und der dazugehörigen, lokalen magnetischen Felder und Feldlinien (rechts).

„Um zu bewerten, welche Rolle die Lagerfeuer wirklich spielen, müssen wir zunächst verstehen, welche physikalischen Prozesse ihnen zugrunde liegen“, sagt MPS-Wissenschaftler Prof. Dr. Hardi Peter, einer der Autoren einer zweiten Studie, die demnächst ebenfalls in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erscheint. Im Computermodell simulierte die Gruppe das Zusammenspiel aus heißem Plasma und Magnetfeldern im Bereich zwischen der Oberfläche der Sonne bis hin zur Korona und berechnete dann, wie sich ihre künstlich geschaffene Sonnenatmosphäre in Messungen von EUI darstellen würden. „Ganz gezielt haben wir die Perspektive von EUI eingenommen, um unsere Rechnungen mit den aktuellen Messdaten in Beziehung zu setzen“, so Erstautor Yajie Chen, der an der Universität Peking und am MPS forscht. 

Wo sich magnetische Feldlinien kreuzen

Auch in der simulierten Sonnenatmosphäre blitzen die kleinen Lagerfeuer auf. Die hellsten von ihnen unterzogen die Forscher einer eingehenden Prüfung und schauten besonders genau auf ihre Umgebung: Welche Prozesse spielen sich dort ab? Wie verändern sich die magnetischen Eigenschaften der Sonnenatmosphäre dort?

In den meisten Fällen entstehen die Strahlungsausbrüche, wenn sich zwei Bündel beinahe gleich gerichteter magnetischer Feldlinien, die bogenförmig in die Sonnenatmosphäre ragen, kreuzen und wechselwirken. An ihrer Schnittstelle wird genug Energie frei, das Sonnenplasma dort auf mehr als eine Million Grad zu heizen. „Die Lagerfeuer, die EUI misst, sind sozusagen nur die sichtbare Spitze des Eisbergs“, beschreibt Peter. Auslöser sind Umstrukturierungen im Magnetfeld der Sonne, die sich unterhalb abspielen. 

Durchaus denkbar ist, dass die Korona noch kleinere Strahlungsausbrüche kennt, die weder EUI noch die Computersimulationen derzeit abbilden können. Wie stark kleine und kleinste Lagerfeuer zur Heizung der Korona beitragen, hänge jedoch nicht allein von ihrer Häufigkeit ab, so Peter. Ebenso wichtig sei, wie viel Energie sie zur Gesamtenergiebilanz der Korona beitragen. Dieser Frage wollen die Forscher in ihren nächsten Simulationen nachgehen.

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