Die Physik solarer Eruptionen

Forschungsbericht (importiert) 2007 - Max Planck Institut für Sonnensystemforschung

Autoren
Inhester, Bernd; Wiegelmann, Thomas
Abteilungen
Physik der Sonne und der Heliosphäre (Prof. Dr. Sami Solanki)
MPI für Sonnensystemforschung, Katlenburg-Lindau
Zusammenfassung
Seit Januar 2007 befinden sich die Sonden der STEREO-Mission der NASA auf ihren Umlaufbahnen um die Sonne und liefern zum ersten Mal simultane Aufnahmen unseres Zentralgestirns und ihrer Umgebung von zwei verschiedenen Standpunkten aus. Wissenschaftler des MPS entwickeln Auswerteverfahren, um aus diesen Aufnahmen dreidimensionale Modelle der Plasmastrukturen in der Sonnenatmosphäre zu erzeugen und die Ergebnisse mit Magnetfeldmodellen der Sonnenkorona zu vergleichen. Ziel der Untersuchungen ist das Verständnis von energiereichen Eruptionen und Massenauswürfen der Sonnenkorona.

Solare Eruptionen - wenn die Korona aus dem Gleichgewicht gerät

Mit der Eroberung und der Nutzung des erdnahen Weltraumes ist die Menschheit in eine gänzlich neue Umwelt vorgestoßen, die der Aktivität der Sonne in weit größeren Maße ausgesetzt ist als ihr angestammter Lebensraum. Neben der intensiven UV- und Röntgen-Strahlung der Sonne wird diese neue Umgebung stark von der Wechselwirkung der Erdmagnetosphäre mit dem Sonnenwind geprägt. Dieser Fluss von Wasserstoff-, Helium- und wenigen schwereren Ionen entweicht kontinuierlich aus der Sonnenatmosphäre und strömt mit mehr als einer Millionen km/h in den interplanetaren Raum hinaus.

In den 70 Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde entdeckt, dass im Sonnenwind abrupte Störungen eingebettet sind, die von plötzlichen Eruptionen auf der Sonnenoberfläche ausgehen (Abb. 1). Enorme Gasmassen von bis zu 1010 Tonnen (etwa die Masse eines Kometen) werden dabei in den Weltraum geschleudert und rasen als Plasmawolke von Magnetfeldern zusammengehalten in den interplanetaren Raum hinaus.

Bewegen sich diese Gaswolken zufällig auf die Erde zu, haben sie starke Auswirkungen auf ihre Magnetosphäre. Während der normale Sonnenwind vom Magnetfeld der Erde an der Magnetopause in einem Abstand von etwa 10-15 Erdradien um die Erde herumgelenkt wird, staucht der enorme Druck der Gaswolken den Abstand dieser äußeren Grenze des Erdmagnetfeldes auf bis zu der Hälfte zusammen. Eine sichtbare Begleiterscheinung dieser Wechselwirkung ist eine erhöhte Polarlichtaktivität bis nach Mitteleuropa hinein.

Als weitere Folgeerscheinung werden Protonen der Korona und des Sonnenwindes während einer Eruption auf Energien von einer Millionen Elektronenvolt und mehr beschleunigt. Diese Teilchen können tief in die Erdatmosphäre eindringen. Astronauten im All sind dann für mehrere Stunden einer verstärkten Strahlendosis ausgesetzt und die Elektronik von Telekommunikations- und Fernsehsatelliten kann durch das Teilchenbombardement zerstört werden.

Das Magnetfeld – das Energiereservoir der Korona

Der genaue Mechanismus dieser Eruptionen ist noch weitgehend unverstanden. Jedoch weist die enorme Energie von 1014 TWh (zum Vergleich: der weltweite Primärenergieverbrauch lag 2001 bei etwa 105 TWh), die bei einer typischen Eruption in einigen 10 Minuten freigesetzt wird, darauf hin, dass das Magnetfeld der Sonnenatmosphäre eine entscheidende Rolle spielt. Die Energiedichte des Magnetfeldes übersteigt die thermische und die Strömungsenergie in der Sonnenkorona um mehrere Zehnerpotenzen, daher stellt das Magnetfeld dort für dynamische Prozesse ein fast unbegrenztes Energiereservoir dar.

Da das Magnetfeld elektrisch geladenes Gas einschließt, behindert es Plasmabewegungen in der Korona, solange sich das Feld in einem Gleichgewichtszustand befindet. Zu bestimmten Zeitpunkten scheint die magnetische Konfiguration jedoch das Gleichgewicht zu verlieren und sie ändert sich abrupt durch Feldlinienverschmelzung. Die dabei freigesetzte Energie kann das Plasma sowohl aufheizen als auch in Form einer Eruption beschleunigen. Die Aufheizung ist als Röntgen-Flare beobachtbar, während die Eruption bei hinreichender Energie einen koronalen Massenauswurf zur Folge hat.

Eine genaue Kenntnis des Magnetfeldes ist daher ein Schlüssel zum Verständnis der Eruptionen und Massenauswürfe. Weltweit werden große Anstrengungen unternommen, die Struktur des koronalen Magnetfeldes zu ermitteln. Bislang ist jedoch nur das Feld der untersten Atmosphärenschichten über den Zeeman- und Hanle-Effekt einer Messung zugänglich. Das Feld in den höheren Schichten muss daraus über Extrapolationsrechnungen bestimmt werden (Abb. 2). Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung ist führend in der Entwicklung von numerischen Codes für die Lösung dieses nichtlinearen Randwertproblems. Gegenwärtig beschränken sich diese Rechnungen noch auf begrenzte Gebiete der Sonnenoberfläche, meist auf isolierte aktive Regionen, in denen sich ein großer Teil des magnetischen Flusses aus dem Sonneninneren konzentriert. Die Rechnungen gestatten es, die Veränderungen der magnetischen Konfiguration einer aktive Region, insbesondere das Anwachsen der Energie und Helizität, zu verfolgen. Auf diese Weise hoffen die Wissenschaftler, kritische Werte dieser Größen zu bestimmen, mit deren Hilfe sich die koronalen Eruptionen vorhersagen lassen.

STEREO – die Mission der dritten Dimension

Bislang sind die Sonneneruptionen und die daraus resultierenden Massenauswürfe nur aus Erdnähe beobachtet worden. Wir wissen aus diesen Beobachtungen, dass sie unterschiedlich häufig vorkommen: Zu Zeiten des alle 11 Jahre wiederkehrenden Aktivitätsminimums der Sonne sind sie eher selten und treten im Mittel alle zwei Wochen auf, während der dazwischen liegenden Aktivitätsmaxima können allerdings mehrere Eruptionen an einem Tag ausgelöst werden. Ein Manko der bisherigen Beobachtungen war, dass sie vor allem die Eruptionen auf der Sonnenperipherie erfassten, die dann mehr oder weniger im rechten Winkel zur Erde beschleunigt wurden. Massenauswürfe, die auf die Erde zurasten, ließen sich nur schlecht gegen den alles überstrahlenden Sonnenhintergrund beobachten.

Hier bringt die STEREO-Mission eine entscheidende Verbesserung. Die Mission besteht aus zwei Sonden, die die Sonne in der Ebene der Ekliptik auf leicht unterschiedlichen Umlaufbahnen umkreisen, eine etwas schneller, die andere etwas langsamer als es der Bahngeschwindigkeit der Erde entspricht. Von der Sonne aus gesehen entfernen sich die Sonden so im Mittel von der Erde um etwa 22 Grad pro Jahr. Mit zunehmendem Abstand bieten sie somit einen Blick auf die Sonne und den umgebenden Weltraum aus zwei unabhängigen Betrachtungswinkeln. Beide Sonden sind mit EUV-Teleskopen und Weißlichtkoronagraphen ausgestattet, welche die Sonne und ihre Umgebung bis zur Erdbahn beobachten. Diese Aufnahmen aus den verschiedenen Blickwinkeln ermöglichen zum ersten Mal eine dreidimensionale Rekonstruktion der beobachteten Strukturen auf der Sonnenoberfläche, in der Sonnenkorona und in der umgebenden Heliosphäre. Insbesondere können so Massenauswürfe und ihre Ausbreitungsrichtung zum ersten Mal dreidimensional erfasst und zuverlässige Prognosen gemacht werden, ob sie sich auf die Erde zu bewegen. Eine typische Zeitspanne von zwei Tagen, die die Gaswolke benötigt, um die Erde zu erreichen, gibt den Betreibergesellschaften von Satelliten genügend Zeit, Vorkehrungen zum Schutz der empfindlichen Elektronik ihrer Satelliten zu treffen.

Erste Ergebnisse der STEREO-Mission

Für die Rekonstruktion werden Verfahren ähnlich der Luftbildstereoskopie oder der Computertomographie in modifizierter Form auf die Bilddaten der STEREO-Mission angewendet. Im ersten Jahr nach dem Start der Mission betrug der Abstand der Sonden noch weniger als etwa 40 Grad, sodass die Rekonstruktionsverfahren auf einen kleinen Basiswinkel abgestimmt waren.

In den EUV-Aufnahmen der Sonne sind aktive Regionen die auffälligsten Phänomene. Das bis zu 1 Millionen Grad heiße, in einzelnen magnetischen Flussröhren eingefangene Plasma strahlt intensiv in den EUV-Wellenlängen während die mit 6000 Grad kühle Sonnenoberfläche dunkel erscheint. Die stereoskopische Rekonstruktion der sichtbaren Plasmabögen sollte somit dem Verlauf magnetischer Feldlinien entsprechen. In Abbildung 3 sind die kontrastverstärkte EUV-Beobachtung einer aktiven Region und ihre dreidimensionale Rekonstruktion gegenübergestellt. Die rekonstruierten Plasmabögen sind dabei in gelb dargestellt, aus Extrapolationen des Oberflächenmagnetfeldes errechnete Feldlinien in rot.

Ein wichtiges Ziel der STEREO-Mission ist die Vorhersage der Ausbreitung von Massenauswürfen, insbesondere wenn sie sich in Richtung auf die Erde zu bewegen. Im Koronagraphen sind Plasmawolken eines Massenauswurfs durch eine erhöhte Streulichtintensität, hervorgerufen durch die Streuung des Sonnenlichts an der Plasmawolke, sichtbar. Die Grenzfläche der Plasmawolke kann daher mit einem beobachteten starken Gradienten des Streulichts identifiziert werden. Jedoch zeigt sich auf diese Weise im Koronagraphen nur die Projektion dieser Grenzfläche in der jeweiligen Blickrichtung des Instruments. Mit den Koronagraphen der STEREO-Sonden stehen zum ersten Mal simultane Beobachtungen aus zwei Blickrichtungen zur Verfügung, sodass sich Teile dieser Grenzfläche rekonstruieren lassen.

Leider ist die Aktivität der Sonne im Moment sehr gering, sodass bislang die Stereorekonstruktion an nur wenigen Exemplaren eines Massenauswurfs ausprobiert werden konnte. Sie wird aber in den kommenden Jahren anwachsen und die Häufigkeit von koronalen Eruptionen wird deutlich zunehmen.

Der Abstand der STEREO-Sonden zur Erde und von einander nimmt ebenfalls kontinuierlich zu, sodass auch die Beobachtungsbedingungen für Massenauswürfe günstiger werden. Der größere Basiswinkel lässt in Zukunft einerseits genauere Rekonstruktionen zu, andererseits werden die Massenauswürfe, die sich auf die Erde zu bewegen, sich dann von den STEREO-Sonden aus gesehen seitlich ausbreiten und weitere Teile der Grenzfläche der Plasmawolke werden sichtbar. Insbesondere die interessante Frontfläche der Wolke wird sich dann rekonstruieren lassen und genaue Rückschlüsse über die Ausbreitungsgeschwindigkeit und -richtung zulassen.

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