Sunrise – ein Sonnenobservatorium in der Stratosphäre

Forschungsbericht (importiert) 2009 - Max Planck Institut für Sonnensystemforschung

Autoren
Barthol, Peter; Gandorfer, Achim; Schüssler, Manfred; Solanki, Sami K.
Abteilungen
Physik der Sonne und der Heliosphäre (Prof. Dr. Sami Solanki)
MPI für Sonnensystemforschung, Katlenburg-Lindau
Zusammenfassung
Das größte Teleskop zur Erforschung der Sonne, das je den Erdboden verlassen hat, startete im Juni 2009 von der europäischen Weltraumbasis ESRANGE bei Kiruna (Nordschweden). Getragen von einem Heliumballon mit einem Durchmesser von 130 Metern flog das 2,6 Tonnen schwere Sonnenobservatorium in 37 km Höhe bis nach Nordkanada. Während des fast sechstägigen Fluges in der Stratosphäre wurde die Sonne ohne Unterbrechung beobachtet, zehntausende hochaufgelöster Bilder im ultravioletten Licht aufgenommen und das Magnetfeld an der Sonnenoberfläche mit bislang unerreichter Detailgenauigkeit vermessen.

Die Sonne ist ein unruhiger Stern. An ihrer sichtbaren Oberfläche brodeln heiße Gasblasen, die aus dem Sonneninnern aufsteigen und die von der Sonne abgestrahlte Energie transportieren. Dunkle Sonnenflecken, deren Größe die der Erde um ein Vielfaches übertreffen kann, tauchen auf und zerfallen wieder, helle Punkte leuchten auf und vergehen nach einigen Minuten. In ihrer äußeren Atmosphäre, der bei Sonnenfinsternissen mit dem bloßen Auge sichtbaren Korona, wird Energie in gigantischen Eruptionen freigesetzt. Manchmal mehrmals am Tage werden dabei Plasmawolken in den interplanetaren Raum geschleudert und Elementarteilchen auf hohe Energien beschleunigt. Diesem durch die Sonnenaktivität hervorgerufenen „Weltraumwetter“ sind auch die Erde und der erdnahe Weltraum ausgesetzt. Satelliten und Astronauten werden durch die Strahlungsstürme gefährdet, während die Wirkungen auf der Erde vom Erscheinen von Polarlichtern über Störungen des Funkverkehrs und von Navigationssystemen bis hin zu großflächigen Ausfällen der Stromversorgung reichen können. Auch ein Einfluss auf langfristige Klimaveränderungen ist nicht ausgeschlossen.

Das Magnetfeld: Quelle der Sonnenaktivität

Die Ursache aller dieser Aktivitätsphänomene, deren Intensität in einem etwa 11-jährigen Rhythmus schwankt, ist das Magnetfeld der Sonne. Das Feld wird in einem Dynamoprozess im Sonneninnern erzeugt und stößt in Sonnenflecken und einer Vielzahl von kleineren Konzentrationen durch die sichtbare Oberfläche der Sonne. Dort nimmt es Energie aus den brodelnden Strömungen des heißen Plasmas auf, transportiert sie in die Korona, wo sie schließlich explosiv und eruptiv freigesetzt werden kann. Um diesen Energietransfer von der Quelle her zu verstehen, muss man die Struktur des Magnetfeldes an der Sonnenoberfläche und seine Wechselwirkung mit den dort herrschenden Plasmaströmungen untersuchen. Dabei zeigt sich, dass sich diese Prozesse auf im Vergleich zur Größe der Sonne räumlich sehr kleinen Skalen von 100 km und darunter abspielen: Messungen und Computersimulationen lassen erwarten, dass der magnetische Fluss die Sonnenoberfläche überwiegend in der Form hochkonzentrierter „Flussröhren“ durchdringt. Zum Vergleich: Das Magnetfeld dort ist über 5000-mal stärker als das Erdmagnetfeld an den magnetischen Polen. Die Ergebnisse aufwendiger Computersimulationen deuten darüber hinaus darauf hin, dass es auch ein weit verbreitetes „turbulentes“ Magnetfeld gibt, das in einem lokalen Dynamoprozess durch Plasmaströmungen nahe der Oberfläche ständig auf- und abgebaut wird.

Wie entgeht man der unruhigen Erdatmosphäre?

Um diese Prozesse quantitativ mit der erforderlichen hohen räumlichen Auflösung zu untersuchen, muss ein zentrales Hindernis überwunden werden: die Luftunruhe in der Erdatmosphäre, durch welche die Bilder und Messungen auch der besten Teleskope ständig verwaschen und „verwackelt“ werden. Gute Bilder erhält man so nur als seltene Momentaufnahmen, längere Bildserien zum Studium der Prozesse und Veränderungen bei höchster Auflösung können praktisch nie erlangt werden. Der beste Weg, den störenden Einfluss der Erdatmosphäre zu vermeiden, ist, sie möglichst weit unter sich zu lassen, d.h. sein Teleskop in den Weltraum zu bringen. Mit kleineren Teleskopen (bis 50 cm Öffnung) hat man das bereits auch getan, für Strukturen auf der Sonne von 100 km und darunter wird aber ein Teleskop mit einer Öffnung von mindestens 1 Meter benötigt. Masse, Größe und Komplexität eines solchen Instruments würden die Kosten einer Weltraummission allerdings in wahrhaft „astronomische“ Größenordnungen treiben. Als Alternative bietet sich deshalb an, ein großes Teleskop mit seinen wissenschaftlichen Instrumenten in der Gondel eines mit Helium gefüllten Ballons in die Stratosphäre zu bringen. In etwa 37 km Höhe lässt man über 99% der Atmosphärenmasse unter sich und wird praktisch nicht mehr durch Luftturbulenz gestört. Gleichzeitig erhält man die Möglichkeit, die Sonne im ultravioletten Licht zwischen 200 nm und 350 nm Wellenlänge zu untersuchen, das vom Erdboden aus wegen der Absorption in der Ozonschicht praktisch nicht gemessen werden kann. Dieser bisher weitgehend unerforschte Bereich ist wichtig für die Wirkung der schwankenden Sonnenaktivität auf die Heizung der Stratosphäre – mit möglichen Auswirkungen auf die Klimaentwicklung.

Das Sunrise-Teleskop und seine Instrumente

Um die mit der Wechselwirkung von Magnetfeldern und Gasströmungen an der Sonnenoberfläche verbundenen fundamentalen Fragen zu untersuchen, wurde das fliegende Sonnenobservatorium Sunrise als internationales Gemeinschaftsprojekt von Instituten aus Deutschland, Spanien und den USA unter der Führung des MPI für Sonnensystemforschung entwickelt. Die notwendige Messgenauigkeit und Detailauflösung erfordert dabei das präzise Zusammenspiel einer Reihe von komplexen Instrumenten. Das Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von 1 m erlaubt es, selbst kleinste Details auf der Sonne zu beobachten. Der „Sunrise Filter Imager“ (SuFI), ein hochauflösendes optisches System mit einer CCD-Kamera, bildet auch Strukturen von unter 100 km Größe auf der Sonnenoberfläche in mehreren Wellenlängenbereichen des ultravioletten Lichtes ab, die vom Erdboden her nicht zugänglich sind. Um gleichzeitig quantitative Aussagen über die physikalischen Größen wie Plasmageschwindigkeiten und Magnetfeld zu erlangen, nimmt das „Imaging Magnetograph Experiment“ (IMaX) die von SuFI beobachteten Strukturen zusätzlich mit spektroskopischen Mitteln unter die Lupe. An jedem Bildpunkt werden dazu mehrere unterschiedliche Wellenlängen und Polarisationszustände des Lichtes vermessen. Dabei müssen die einzelnen Messungen möglichst rasch und unter identischen Bedingungen aufeinander folgen, was vom Erdboden aus wegen der Bildschwankungen durch die Turbulenz der Atmosphäre kaum erreicht werden kann. Auch für Sunrise in seiner schaukelnden Ballongondel musste ein aufwendiger optischer Bildstabilisator und eine komplexe Lichtverteiloptik entwickelt werden, damit die Instrumente SuFI und IMaX gleichzeitig scharfe Bilder und genaue Magnetfeldkarten liefern können (Abb. 2).

Der Flug im Juni 2009: erste Ergebnisse

Nach über 6 Jahren Vorbereitung, Entwicklung und ausgiebigen Tests startete Sunrise im Juni 2009 von der europäischen Weltraumbasis ESRANGE nahe Kiruna in Nordschweden zu seinem ersten wissenschaftlichen Flug (Abb. 1 und 3). Die Ballon-Profis der Columbia Scientific Ballooning Facility der NASA brachten das 2,6 Tonnen schwere, sechs Meter breite und 7 Meter hohe Sonnenobservatorium sicher in die Luft. Von den zirkumpolaren stratosphärischen Winden wurde Sunrise in fast 6 Tagen nach Nordkanada getragen, wo es auf der unwirtlichen Somerset Insel sicher am Fallschirm landete. Teleskop und wissenschaftliche Instrumente überstanden die Landung in rauem Gelände ohne größere Beschädigungen. Insbesondere konnte der wertvollste „Schatz“, die auf Festplatten gespeicherten 1,8 Terabyte an wissenschaftlichen Bildern und Daten unversehrt geborgen werden.

Da die Sonne jenseits des Polarkreises im Sommer nicht untergeht, hatte Sunrise während des gesamten Fluges einen ungetrübten Blick auf die Sonne und lieferte spektakuläre Aufnahmen der Sonnenoberfläche. Die besondere wissenschaftliche Bedeutung der Sunrise-Mission liegt dabei in der Tatsache, dass gleichzeitig hochaufgelöste Bilder und ebenso detaillierte Magnetfeldkarten gewonnen wurden. Erstmals können nun auch die zeitliche Entwicklung des komplexen Magnetfeldes, sein Zusammenhang mit Helligkeitsstrukturen und seine Wechselwirkung mit Strömungen mit der notwendigen Detailauflösung erforscht werden. Schon bei der ersten groben Sichtung erwies sich die Einzigartigkeit der Sunrise-Daten: niemals zuvor wurden Zeitserien derart kontrastreicher Bilder und detaillierter Magnetfeldkarten aufgenommen (Abb. 4). Noch bevor die Datenaufbereitung für die eingehende Auswertung ganz abgeschlossen ist, gibt es die ersten wissenschaftlichen Überraschungen zu vermelden: (1) viele magnetische Strukturen sind unerwartet hell im ultravioletten Licht; (2) „jets“ mit vertikal gerichteten Überschallströmungen zeigen sich an der Sonnenoberfläche, meist an Stellen mit nahe beieinander liegenden Magnetfeldern entgegengesetzter Polarität („magnetische Kurzschlüsse“); (3) auch auf den kleinsten sichtbaren Skalen tauchen immer wieder bipolare magnetische Strukturen auf und verschwinden wieder.

Die eingehende Auswertung der Fülle von Bildern und Daten hat gerade erst begonnen und wird die beteiligten Wissenschaftler noch Monate und Jahre beschäftigen. Es wird sicher weitere Überraschungen geben und die Bedeutung der Sunrise-Mission für das Verständnis der Sonnenmagnetfelder ist noch gar nicht zu ermessen. Dabei fand der Flug 2009 während des solaren Aktivitätsminimums statt – in solchen Zeiten verhalten sich die Magnetfelder vergleichsweise „zahm“. Ein zweiter Flug während des kommenden Aktivitätsmaximums im Jahre 2012 würde es gestatten, auch ausgedehnte magnetische Gebiete und Sonnenflecken, die Monster unter den magnetischen Erscheinungen, unter die hochpräzise Lupe des stratosphärischen Sonnenobservatoriums Sunrise zu bringen. Auf weitere Überraschungen darf man gespannt sein.

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