Der Staub, der aus der Ferne kommt
Vor 25 Jahren startete die Raumsonde Ulysses ins All. Ihre Messungen an interstellarem Staub wurden jetzt erstmals komplett ausgewertet.
Als die Sonnensonde Ulysses 1990 auf ihre 19 Jahre währende Erkundungstour aufbrach, richteten die beteiligten Forscher ihr Augenmerk nicht nur auf unser Zentralgestirn, sondern auch auf deutlich kleinere Forschungsobjekte: interstellare Staubteilchen, die aus den Tiefen des Weltalls ins Sonnensystem vordingen. Als erste Mission hatte Ulysses unter anderem das Ziel , mit seinem Staubdetektor die winzigen Fremdlinge direkt zu vermessen, und spürte mehr als 900 von ihnen auf. Eine umfassende Analyse dieses bisher größten Datensatzes interstellarer Staubteilchen legen Forscher unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen und des International Space Science Institute (ISSI) in Bern heute in drei Artikeln in der Fachzeitschrift „The Astrophysical Journal“ vor. Ihre Bilanz: Im Einflussbereich der Sonne können sich Flugrichtung und –geschwindigkeit der Teilchen stärker als bisher gedacht ändern.
Unaufhörlich bewegt sich unser Sonnensystem durch die Milchstraße. Seit etwa 100000 Jahren durchquert es dabei die Lokale Flocke, eine Wolke aus interstellarer Materie, die etwa 30 Lichtjahre im Durchmesser misst. Mikroskopisch kleine Staubteilchen aus dieser Wolke bahnen sich ihren Weg bis ins Innere unseres Sonnensystems. Für Forscher sind sie eine Art Botschafter aus den Tiefen des Alls und enthalten grundlegende Informationen über unsere entferntere kosmische Heimat. Mehrere Raumsonden haben die „zugereisten“ Teilchen in der Vergangenheit aufgespürt und charakterisiert. Zu ihnen zählen Galileo und Cassini, welche die Gasplaneten Jupiter und Saturn zum Ziel hatten, sowie die Mission Stardust, die 2006 eingefangene interstellare Staubteilchen zur Erde brachte.
„Die Daten von Ulysses, die wir jetzt erstmals in ihrer Gesamtheit ausgewertet haben, sind einzigartig“, erklärt Harald Krüger vom MPS, Principal Investigator des Staubdetektors. 16 Jahre lang untersuchte das Staubinstrument an Bord der Sonde fast ohne Unterbrechungen den Teilchenstrom von außerhalb unseres Sonnensystems. Im Vergleich lieferten andere Missionen nur Momentaufnahmen. „Zudem war Ulysses‘ Beobachtungsposition optimal“, so Veerle Sterken vom ISSI, die die Analysen zusammen mit Harald Krüger leitete. Ulysses ist die bisher einzige Raumsonde, die die Bahnebene der Planeten verlassen hat und über die Pole der Sonne geflogen ist. Während interplanetarer Staub, der innerhalb unseres Planetensystems entsteht, in der Ebene der Planetenbahnen konzentriert ist, lässt sich der interstellare Staub außerhalb der Ebene der Planetenbahnen gut messen.
„Im Einflussbereich der Sonne und des interplanetaren Magnetfeldes, das die Sonne erzeugt, verändern die Staubteilchen ihre Eigenschaften“, erklärt Peter Strub vom MPS. In Abhängigkeit von der Masse der Teilchen wirken sich die Anziehung und der Strahlungsdruck der Sonne sowie die Magnetfelder im Sonnensystem aus und beeinflussen so deren Flugrichtung und -geschwindigkeit. „Da die Sonne und die resultierenden Magnetfelder einem etwa 22-jährigen Zyklus unterliegen, können nur langjährige Messungen diesen Einfluss wirklich greifbar machen“, fügt der Forscher hinzu.
Den Daten der mehr als 900 Teilchen, die das Staubinstrument von Ulysses detektierte, konnten die Forscher die bisher detailliertesten Informationen über Masse, Größe und Flugrichtung der interstellaren Wanderer entnehmen. Computersimulationen halfen dabei, die verschiedenen Einflüsse der Sonne und des interplanetaren Magnetfeldes zu verstehen und voneinander zu trennen.
So bestätigten sich frühere Analysen, wonach der interstellare Staub stets in etwa derselben Richtung das Sonnensystem durchquert. Sie entspricht der Richtung, in der sich das Sonnensystem und die Lokale Flocke relativ zueinander bewegen. „Kleinere Abweichungen von dieser Hauptrichtung hängen von der Masse der Teilchen und vom Einfluss der Sonne ab“, so Strub.
2005 allerdings zeigte sich ein anderes Bild: Die weitgereisten Teilchen erreichten den Staubdetektor aus einer verschobenen Richtung. „Unsere Simulationen legen nun nahe, dass auch dieser Effekt auf die Schwankungen des interplanetaren Magnetfeldes zurückzuführen ist“, erklärt Veerle Sterken vom ISSI, die die Simulationen durchführte und die Interpretation der Daten leitete. „Veränderte Ausgangsbedingungen in der Lokalen Flocke sind vermutlich nicht der Grund.“
Auch Größe und Beschaffenheit der Teilchen nahmen die Forscher unter die Lupe. Während der Großteil der Staubpartikel im Durchmesser zwischen einem halben und 0,05 Mikrometern misst, gibt es auch einige auffallend große Exemplare von mehreren Mikrometern Größe. „Bemühungen, die Staubteilchen außerhalb unseres Sonnensystems von der Erde aus zu beobachten und zu charakterisieren, liefern keine derart großen Teilchen“, so Krüger. Im Gegenzug finden sich die sehr kleinen Teilchen, die Astronomen mit Teleskopen typischerweise nachweisen, nicht in den Ulysses-Messungen. Wie Computersimulationen zeigen, laden sich diese Winzlinge im Vergleich zu ihrer Masse im Sonnensystem stark elektrisch auf, werden abgelenkt und so aus dem Hauptteilchenstrom herausgefiltert.
Die Simulationen deuten zudem daraufhin, dass der exotische Staub eine geringe Dichte aufweist und somit porös ist. „Die innere Struktur der Teilchen kann der Ulysses-Staubdetektor zwar nicht messen“, so Sterken. „Am Computer können wir jedoch verschiedene Dichten ausprobieren. Mit porösen Teilchen lassen sich die Messdaten von Ulysses am besten rekonstruieren“, fügt die Belgierin hinzu.
Die Zusammensetzung der interstellaren Teilchen konnten die Forscher mit dem Staubinstrument auf Ulysses nicht untersuchen. Dies ist jedoch mit dem am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg entwickelten Nachfolgeinstrument auf der Cassini-Sonde möglich. Diese Messungen werden ganz neue Einblicke in die Entstehungsbedingungen und die Entwicklung der interstellaren Teilchen ermöglichen. Die Messungen interstellarer Staubteilchen im Sonnensystem erlauben somit einen Blick in die Lokale Flocke, die sonst nur durch Beobachtungen von der Erde aus untersucht werden kann. Bei zukünftigen Ausschreibungen der europäischen Weltraumbehörde ESA wollen sich Staubforscher mit eigenen Vorschlägen für Weltraummissionen zur Untersuchung von interstellarem Staub beteiligen.
Die Weltraumission Ulysses war ein Gemeinschaftsprojekt der ESA und der NASA. Der Ulysses-Staubdetektor wurde am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg unter Beteiligung des Deutsche Zentrums für Luft- und Raumfahrt gebaut und betrieben. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das International Space Science Institute in Bern haben die Auswertung der Langzeitmessungen von interstellarem Staub ermöglicht.