Sonnenaktivität über ein Jahrtausend rekonstruiert

Uralte Baumscheiben und eine verbesserte C14-Methode erlauben einen einzigartigen Blick in die Vergangenheit unseres Sterns.

19. Januar 2021

Ein internationales Forschungsteam, zu dem Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen gehören, hat aus Messungen von radioaktivem Kohlenstoff in Baumringen die Sonnenaktivität bis ins Jahr 969 lückenlos und mit hoher zeitlicher Auflösung von nur einem Jahr rekonstruiert. Die Daten, die das Team unter Leitung der ETH Zürich jüngst in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht hat, bestätigen nicht nur eindrucksvoll den bekannten, elfjährigen Aktivitätszyklus der Sonne. Sie zeigen auch, dass in langanhaltenden Phasen geringer Sonnenaktivität die Aktivitätsschwankungen unseres Sterns geringer ausfallen als sonst. Zudem entdeckten die Forscherinnen und Forscher, dass die Sonne nicht nur - wie bereits bekannnt - im Jahr 993, sondern auch in den Jahren 1052 und 1279 besonders hochenergetische Teilchen ins All geschleudert hat. Die Ergebnisse helfen der Forschung, die Sonnendynamik besser zu verstehen, und erlauben eine genauere Datierung organischer Materialien mit der C14-Methode.

Die Aktivität der Sonne lässt sich nur indirekt beobachten. Sonnenflecken etwa können Aufschluss geben: Je mehr Flecken auf der Sonnenoberfläche sichtbar sind, desto aktiver ist unser Zentralgestirn in seinem Innern. Auch wenn Sonnenflecken bereits seit dem Altertum bekannt sind, wurden sie erst seit Erfindung des Fernrohrs vor etwa 400 Jahren im Detail dokumentiert. Seitdem weiß man, dass sich die Zahl der Flecken in regelmässigen Elfjahreszyklen ändert und dass es dem überlagert andauernde Phasen von starker und schwacher Sonnenaktivität gibt, die sich auch im irdischen Klima niederschlagen.

Wie sich die Sonnenaktivität allerdings vor Beginn dieser systematischen Aufzeichnungen entwickelt hat, lässt sich nur deutlich schwerer nachvollziehen. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der ETH Zürich, zu dem auch Forscherinnen und Forscher des MPS und der schwedischen Universität Lund gehören, hat nun mithilfe von Messungen des Gehalts an radioaktivem Kohlenstoff in Baumringen den Elfjahreszyklus der Sonne bis ins Jahr 969 zurückverfolgt. Gleichzeitig haben die Forschenden damit eine wichtige Datenbasis zur genaueren Altersbestimmung mit der C14-Methode geschaffen.

Um die Sonnenaktivität über ein Jahrtausend mit einer extrem guten zeitlichen Auflösung von nur einem Jahr zu rekonstruieren, nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Baumring-Archive aus England und der Schweiz. In diesen Baumringen, deren Alter sich präzise durch Zählen der Ringe bestimmen lässt, befindet sich ein winzig kleiner Teil an radioaktivem Kohlenstoff C14, wobei von 1000 Milliarden Atomen nur etwa eines radioaktiv ist. Aus der bekannten Halbwertszeit dieses C14-Isotops – etwa 5700 Jahre – lässt sich dann auf den radioaktiven Kohlenstoffgehalt schliessen, der sich zum Zeitpunkt der Bildung eines Jahresrings in der Erdatmosphäre befand. Da radioaktiver Kohlenstoff hauptsächlich von kosmischen Teilchen gebildet wird, die wiederum vom Magnetfeld der Sonne mehr oder weniger von der Erde ferngehalten werden – je aktiver die Sonne, desto besser schirmt sie die Erde ab –, lässt sich aus einer Änderung des C14-Gehalts in der Atmosphäre auf die Sonnenaktivität schließen.

Genaue Messungen der Änderung dieses ohnehin sehr kleinen Gehalts gleichen allerdings der Suche nach einem Staubkorn auf einer Nadel in einem riesigen Heuhaufen. "Die einzigen Messungen dieser Art wurden in den 80er und 90er Jahren gemacht", sagt Lukas Wacker vom Labor für Ionenstrahlphysik der ETH Zürich, "allerdings nur für die letzten 400 Jahre und mit der extrem aufwendigen Zählmethode". Bei dieser Methode werden die radioaktiven Zerfallsereignisse von C14 in einer Probe mit einem Geigerzähler direkt gezählt, wozu man vergleichsweise viel Material und, wegen der langen Halbwertszeit von C14, noch mehr Zeit braucht. "Mit der modernen Beschleuniger-Massenspektrometrie konnten wir nun mit einer tausendmal kleineren Jahresringprobe in wenigen Stunden den C14-Gehalt auf etwa ein Promille genau bestimmen", ergänzt Nicolas Brehm, der als Doktorand für diese Analysen verantwortlich ist.

Bei der Beschleuniger-Massenspektrometrie werden die zunächst elektrisch aufgeladenen C14- und C12-Atome (der "normale", nichtradioaktive Kohlenstoff; C14 dagegen enthält in seinem Kern zwei Neutronen mehr) des Baummaterials mit einer Spannung von mehreren Tausend Volt beschleunigt und dann durch ein Magnetfeld geleitet. In diesem Magnetfeld werden die unterschiedlich schweren Kohlenstoffisotope verschieden stark abgelenkt und können so getrennt gezählt werden. Um aus diesen Rohdaten schliesslich die gewünschten Informationen über die Sonnenaktivität zu bekommen, müssen die Forscherinnen und Forscher diese anschließend noch einer aufwändigen statistischen Analyse unterziehen und mittels Computermodellen aufarbeiten.

Dieses Vorgehen erlaubte es den Forscherninnen und Forschern, die Sonnenaktivität von 969 bis 1933 lückenlos zu rekonstruieren. Daraus konnten sie sowohl die Regelmässigkeit des Elfjahreszyklus über ein Jahrtausend bestätigen als auch die Tatsache, dass die Amplitude dieses Zyklus (also die Stärke des Ausschlags der Sonnenaktivität nach oben und unten) bei lang andauernden solaren Minima ebenfalls kleiner ist. "Die Vergangenheit unseres Sterns möglichst genau und über einen möglichst langen Zeitraum zu kennen, hilft uns nicht nur dabei, die innere Dynamik unseres Sterns besser zu verstehen. Es erlaubt uns auch besser abzuschätzen, wie sich die Sonne in Zukunft verhalten könnte", so Sami Solanki vom MPS.

So erlauben die Messdaten es auch, ein besonderes Ereignis auf der Sonne im Jahr 993 zu bestätigen. Bei einem sogenannten SEP-Ereignis (solar energetic particle event) schleudert die Sonne besonders hochenergetische Teilchen wie etwa Protonen ins All. Gelangen diese Teilchen zur Erde, führt dies zu einer leichten Überproduktion von C14. Darüber hinaus fand das Forschungsteam Anzeichen zweier weiterer, bislang unbekannter Ereignisse in den Jahren 1052 und 1279. Dies könnte darauf hindeuten, dass solche Ereignisse – die elektronische Schaltkreise auf der Erde und in Satelliten empfindlich stören können – häufiger auftreten als bisher angenommen.

Da Baumring-Archive für die letzten 14000 Jahre existieren, wollen die Forscherinnen und Forscher mit ihrer Methode demnächst die jährlichen C14-Konzentrationen bis zum Ende der letzten Eiszeit bestimmen. Gleichsam als Zugabe können die Daten der neuen Studie in Zukunft für eine viel genauere Datierung organischer Materialien mit der C14-Methode verwendet werden und sind bereits in die neue Ausgabe der international anerkannten Radiokarbon-Kalibrierkurven eingeflossen.

Oliver Morsch/Birgit Krummheuer

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