Über den Wolken: Neues von der Venus

Forschungsbericht (importiert) 2008 - Max Planck Institut für Sonnensystemforschung

Autoren
Titov, Dimitri; Markiewicz, Wojciech; Fränz, Markus
Abteilungen
Physik der Planeten und Kometen (Prof. Dr. Ulrich Christensen)
MPI für Sonnensystemforschung, Katlenburg-Lindau
Zusammenfassung
Auch nach zahlreichen sowjetischen und amerikanischen Missionen zum Planeten Venus blieben viele Fragen zur Geschichte und Struktur des Planeten und seiner dichten Atmosphäre offen. Im Jahr 2005 startete daher die erste europäische Mission zum Planeten Venus – Venus-Express, an deren Konzeption das MPI für Sonnensystemforschung maßgeblich beteiligt ist. Erste Analysen der seit 2006 aufgenommenen Daten zeigen eine bisher ungeahnt starke Strukturierung und Dynamik der Wolkenschichten und erlauben neue Rückschlüsse auf die Evolution der Atmosphäre der Venus.

Unser Nachbarplanet Venus war zwischen 1962 und 1994 das Ziel zahlreicher sowjetischer und amerikanischer Weltraummissionen. Die letzten beiden dieser Missionen waren der Pioneer Venus Orbiter, der zwischen 1980 und 1992 eine Langzeitbeobachtung des Planeten unternahm, und die Radarmission Magellan, die zwischen 1990 und 1994 einen Großteil der Oberfläche des Planeten kartierte. Wir wissen von früheren Beobachtungen, dass Venus eine sehr dichte, trockene, heiße Atmosphäre besitzt, die zu 96,5% aus Kohlendioxid besteht mit einem Wasseranteil von nur 30 ppm (parts per million) und einem Druck an der Oberfläche von 95 bar. Zwischen 45 und 70 km Höhe bildet sich eine dreischichtige Wolkendecke, die im Wesentlichen aus Schwefelsäure besteht, den Blick auf die Oberfläche im sichtbaren Spektrum verwehrt und der Venus ein gelblich-weißes Aussehen gibt. Diese Wolkenschicht verursacht mit einem sehr hohen Kohlendioxid- und einem geringen Wasserdampfanteil einen sehr viel stärkeren Treibhauseffekt als auf der Erde und führt zu einer Oberflächentemperatur von 737 K. Im UV-Licht kann man eine breitenabhängige Bewegung der oberen Wolkenschichten beobachten, die am Äquator weit schneller ist als die langsame Eigenrotation des Planeten von 243 Tagen.

Trotzdem blieben nach den früheren Missionen zum Planeten Venus zahlreiche Fragen über Struktur, Zusammensetzung und Dynamik der Atmosphäre und besonders über die Klimageschichte der Venus offen [1]. Da sich die amerikanische Weltraumforschung in der Folgezeit mehr Mars und den äußeren Planeten zugewandt hat, beschloss die europäische Weltraumbehörde ESA im Jahr 2002 nach einem vom MPI für Sonnensystemforschung (MPS) koordinierten Vorschlag, eine neue Mission zum Planeten Venus zu unternehmen. Dies bot sich besonders an, da es mit dem Mars-Express-Satelliten ein sehr erfolgreiches Konzept für eine europäische planetare Mission gab, und die Entwicklung der Messtechnik seit Beginn der 1990er-Jahre erheblich fortgeschritten war.

Für die Mission Venus-Express wurde in einer sehr kurzen Zeitspanne ein Nachbau des Mars-Express-Satelliten mit angepassten Komponenten konzipiert – auch hierbei hatte das MPS wieder eine führende Rolle. Venus-Express wurde schon im November 2005 gestartet und trat im April 2006 in einen hoch elliptischen polaren Orbit um Venus ein. Periapsis und Apoapsis sind 250 km bzw. 66.000 km von der Planetenoberfläche entfernt, sodass bestimmte Regionen und Phänomene sowohl sehr detailliert als auch in ihrem globalen Kontext beobachtet werden können. Die Periode des Orbits beträgt 24 Stunden [2].

Venus-Express ist damit die erste ESA-Mission zum Planeten Venus. Ihre wichtigsten wissenschaftlichen Ziele sind globale Untersuchungen der Atmosphäre, der Plasma-Umgebung und der Planetenoberfläche aus dem Orbit. Der Satellit bietet eine vielseitige Plattform sowohl für Nadir- und Limb-Messungen als auch für Sonnen-, Stern-, und Radiookkultationen. Die Kernmission war für den Zeitraum vom 4. Juni 2006 bis zum 2. Oktober 2007 angesetzt, was in etwa zwei siderischen Venustagen entspricht, wird aber voraussichtlich bis zum Jahre 2011 verlängert, um eine zeitliche Überdeckung mit dem japanischen Venus Climate Orbiter („Planet-C“, Start 2010) zu erreichen.

Die Payload von Venus-Express besteht aus sieben Experimenten und beinhaltet ein leistungsfähiges Ensemble aus einer abbildenden Kamera, mehreren Fernerkundungsspektrometern, Instrumenten für die Untersuchung des den Planeten umgebenden Plasmas und des magnetischen Feldes, sowie ein Radioexperiment. Das MPS ist vielfältig am Venus-Express-Programm beteiligt: Die Venus Monitoring Camera (VMC), für die die Leitung am MPS liegt, studiert die Wolkenstrukturen und die Dynamik der Atmosphäre und ermöglicht eine Kartierung der Oberflächentemperatur des Planeten. Dieses Engagement wird durch wissenschaftliche Beteiligungen am abbildenden Spektrometer VIRTIS und am Analyser of Space Plamas and Energetic Atoms (ASPERA-4) vervollständigt. Für ASPERA-4 hat das MPS zudem Hardware entwickelt. Ferner unterstützt das MPS die ESA bei der Planung und Koordination der wissenschaftlichen Messungen [3].

Wolkenstruktur und Dynamik

Das abbildende Spektrometer VIRTIS und die Monitoring Camera VMC auf Venus- Express nutzen die große Exzentrizität des polaren Orbits, um die Wolkenschichten in einem spektralen Bereich von Ultraviolett bis zum thermischen Infrarot mit bisher unerreichtem Detailreichtum aufzuzeichnen. Dabei wurden alle Breiten und Sonnenstände mit Auflösungen von etwa 50 km in der Apoapsis bis zu einigen hundert Metern in der Periapsis abgedeckt. Die multispektralen Abbildungen ermöglichen es zum ersten Mal, die Wolkenstrukturen in drei Dimensionen zu rekonstruieren. Darüber hinaus erlauben es die Limb-Messungen sowie die Stern- und Sonnenokkultationstechniken, die vertikale Struktur des Nebels über der Wolkendecke (upper haze) zu untersuchen.

Abbildung 1 zeigt die Kombination eines VMC-Bildes im Ultravioletten (UV) auf der Tagseite mit einem VIRTIS-Bild auf der Nachtseite, das im transparenten Nah-Infrarot-Fenster bei 2,3 μm Wellenlänge aufgenommen wurde. Die Strukturen im UV-Bild geben die unregelmäßige Verteilung eines unbekannten Absorbers in der oberen Wolkenschicht zwischen etwa 55 bis 70 km Höhe wieder, die wiederum auf unterschiedliche dynamische Zustände in der Atmosphäre zurückgeht. Die scheckige, fleckige Wolkenstruktur in niedrigen Breiten unter 40°S spricht dafür, dass hier turbulente Konvektion eine größere Rolle spielt, angetrieben durch die in niedrigen Breiten stärkere Sonneneinstrahlung, die zum großen Teil von der oberen Wolkenschicht in etwa 55 bis 65 km Höhe absorbiert wird. Zu den Polen hin werden die scheckigen Wolken durch streifige Gebilde abgelöst, was für eine geordnete, mehr laminare Bewegung in mittleren Breiten spricht. Die Region zwischen 50° und 70°S wird von einem hellen, fast strukturlosen Band dominiert. Dies lässt vermuten, dass hier Aerosole einen Großteil der Sonneneinstrahlung reflektieren, bevor sie den UV-Absorber erreicht. In den Polregionen hingegen findet man kreis- und spiralförmige Strukturen mit einem Durchmesser von einigen hundert Kilometern [4].

In niedrigen und mittleren Breiten kann die Helligkeit der Wolkenschicht von einem Tag zum nächsten deutlich variieren. Starke Winde und mikrophysikalische Wolkenbildungsprozesse wie Nukleation und Koagulation scheinen hier die Durchsichtigkeit der oberen Wolkenschicht relativ schnell zu verändern.

Der im nahen Infrarot aufgenommene Teil der Abbildung 1 zeigt die Strahlung, die auf der Nachtseite von der unteren Atmosphäre durch das spektrale Fenster bei 2,3 μm Wellenlänge dringt. Hier gehen die Strukturen auf die unterschiedliche Durchsichtigkeit der Hauptwolkenschicht in 50 bis 55 km Höhe zurück. Die Helligkeit variiert etwa um eine Größenordnung, was einer Änderung in der Opazität um einen Faktor zwischen 20 und 40 entspricht. Bei dem spektralen Fenster mit einer Wellenlänge von 1,7 μm ist der Kontrast noch stärker [5].

Die von Venus-Express aufgedeckten Wolkenstrukturen sind im Wesentlichen in Form eines globalen Wirbels organisiert (Abb. 1). Sowohl die UV-Bilder von der Tagseite als auch die Infrarot-Aufnahmen von der Nachtseite zeigen, dass dieser Wirbel die gesamte Südhemisphäre bedeckt und mindestens bis zur Untergrenze der Wolkendecke bei 50 km hinunter reicht. Frühere Beobachtungen der Nordhemisphäre zeigen ein sehr ähnliches Bild, die Wolkenstruktur scheint also symmetrisch zum Äquator zu sein. Diese Wirbel haben eine verblüffende Ähnlichkeit mit Hurrikanen auf der Erde, ihre Größen und die jeweiligen Antriebskräfte dürften sich aber deutlich unterscheiden.

VIRTIS-Aufnahmen im nah-infraroten CO2-Absorptionsband erlauben es, global die Höhe der Wolkenoberdecke zu kartieren, da die Intensität der Absorption von der Höhe der Wolkenschicht abhängt. Abbildung 2 zeigt ein VMC-Bild im Ultravioletten, überlagert mit farbkodierten Höhenangaben, die auf gleichzeitigen VIRTIS-Aufnahmen im 1,6 μm CO2-Band basieren. In niederen und mittleren Breiten liegt die Höhe der Wolkenoberdecke bei etwa 70 km und nimmt ab einer Breite von etwa 55° zu den Polen hin ab, wo sie bis auf 65 km im Auge des Wirbels sinkt. Die Höhe variiert also um mehr als eine Skalenhöhe. (Höhe, in der der Druck um den Faktor e abnimmt.) Überraschenderweise macht sich die scharfe Grenze des hellen Bandes im UV-Bereich nicht als Höhenänderung bemerkbar (Abb. 2). Daraus schließt man, dass sich die dunklen Strukturen bei niedrigen Breiten und das helle Band bei mittleren Breiten auf vergleichbarer Höhe befinden [6].

Frühere Beobachtungen und Modelle der Venusatmosphäre haben gezeigt, dass es mindestens zwei unterschiedliche dynamische Zustände gibt: Die Troposphäre (0 bis 60 km Höhe) und die untere Mesosphäre (bis etwa 80 km Höhe) zeigen fast ausschließlich zonale Winde, die in Richtung der Planetenrotation wehen. Die Geschwindigkeit erreicht an der Wolkenoberseite ein Maximum und nimmt dann zur Planetenoberfläche hin und über den Wolken ab. Die Thermosphäre (100 bis 200 km Höhe) nimmt an einer globalen Zirkulation zwischen Tag- und Nachtseite teil, die von Temperaturdifferenzen zwischen dem subsolaren und dem antisolaren Punkt getrieben wird.

Die abbildenden Spektrometer und die VMC-Kamera auf Venus Express haben die Atmosphärenbewegung in verschiedenen Höhen beobachtet, angefangen an der unteren Wolkengrenze (etwa 50 km) bis hinauf zur unteren Mesosphäre (etwa 140 km). Die Windgeschwindigkeiten werden dadurch ermittelt, dass man die Bewegung von Wolkenstrukturen verfolgt. Abbildung 3 zeigt über die Breite gemittelte Geschwindigkeitsprofile der zonalen Winde in unterschiedlichen Höhen basierend auf VIRTIS- und auf VMC-Daten. In allen Höhen bleibt die Windgeschwindigkeit in der Wolkenzone bis zu einer Breite von 50° nahezu konstant, dann jedoch nimmt sie zum Pol hin schnell ab. Interessanterweise fällt dieser Übergang mit der Grenze zwischen fleckigen und streifigen Wolken zusammen. Ein Vergleich mit den Drehwinden, die aus VIRTIS-Temperaturmessungen abgeleitet wurden, zeigt eine recht gute Übereinstimmung für mittlere und hohe Breiten. Dies bestätigt die Annahme, dass es sich bei den zonalen Winden um so genannte zyklostrophische Winde handelt: Dies sind Drehwinde, bei denen die Zentrifugalkraft den umgebenden Druck ausgleicht, wie zum Beispiel auch bei einer Windhose. Vorläufige Studien zur Zeitabhängigkeit dieser Winde deuten darauf hin, dass sie am späten Morgen am schwächsten sind und zum Nachmittag hin zunehmen. Die meridionalen Nord-Süd-Winde sind wesentlich schwächer (0-20 m/s) und darum wesentlich schwerer zu messen. Sie werden vom Äquator bis zu mittleren Breiten hin stärker, werden dann zum Pol hin wieder schwächer und kehren nahe am Pol sogar ihre Richtung um [4].

Plasma-Umgebung

Venus hat kein inneres Magnetfeld, es bildet sich aber durch die Ionosphäre an der Tagseite des Planeten eine vom Sonnenwind induzierte Magnetosphäre. Dadurch kann die Energie des Sonnenwindes teilweise auf die Ionen der oberen Atmosphäre übertragen werden. Diese werden so beschleunigt und können vom Planeten entweichen. Daher ist die Untersuchung der Wechselwirkung mit dem Sonnenwind ganz wesentlich für das Verständnis der Entwicklung der Venusatmosphäre. Die Plasma-Umgebung des Planeten wird durch das ASPERA-4-Experiment (Analyzer of Space Plasmas and Energetic Atoms) mit drei verschiedenen Sensoren untersucht: einem für Neutralteilchen, einem für Ionen und einem für Elektronen. Die Messungen von Venus-Express fallen in eine Periode geringer solarer Aktivität und ergänzen so die Messungen des Pioneer Venus Orbiter, die 1985-1992 im Maximum der solaren Aktivität vorgenommen wurden.

Venus-Express durchquert auf seinem Orbit um Venus verschiedene Plasmaregionen und -grenzen, nämlich die Bugstoßwelle, den Magnetosheath, die induzierte Magnetosphärengrenze, den Plasmamantel, die Ionopause und die Ionosphäre. Die Grenzschichten lassen sich deutlich in den Magnetfeld- und Plasmamessungen identifizieren. Ihre Entstehung lässt sich mithilfe von numerischen dreidimensionalen Simulationen verstehen, die zahlreiche physikalische Wechselwirkungsprozesse berücksichtigen und am MPI für Sonnensystemforschung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geophysik der Universität Braunschweig (Gruppe Prof. Motschmann) durchgeführt werden. Ein Beispiel ist in Abbildung 4 gezeigt.

Das ASPERA-4-Experiment auf Venus-Express hat erstmals die Zusammensetzung des vom Planeten entweichenden Plasmas bestimmt. Die Beschleunigung des planetaren Ionenplasmas wird durch drei Prozesse verursacht: durch das konvektive elektrische Feld (Pick-Up), durch Instabilitäten an der Magnetosphärengrenze, die Plasmawolken ablösen, und durch Polarisationsfelder auf der Nachtseite des Planeten, wo das induzierte Magnetfeld nahezu radial ist. ASPERA-4 hat zwei verschiedene Kanäle für den Ionenabfluss entdeckt: entlang einer Plasmaschicht im Zentrum des Magnetosphärenschweifs und entlang der Magnetosphärengrenze. Die Energieverteilung der Ionen in beiden Kanälen ist sehr unterschiedlich: Ionen in der Plasmaschicht haben Energien im Verhältnis 4/2/1 für O+/He+/H+, während Ionen an der Magnetosphärengrenze nahezu Sonnenwindgeschwindigkeit aufweisen. Für einen gewöhnlichen Pick-Up-Prozess würde man allerdings nach der Ionenmasse ein Energieverhältnis von 16/4/1 erwarten. Vermutlich ist die Differenz durch eine nach Ionenmasse unterschiedliche Absorption in den Plasmafluss verursacht. Wie zu erwarten, wird der Ionenabfluss durch das induzierte elektrische Feld bestimmt. Alle drei Ionenarten zeigen ähnliche räumliche Verteilungen, was nahelegt, dass zum Beispiel H+- und He+-Ionen beide planetaren Ursprungs sind. Der gesamte Ionenabfluss vom Planeten lässt sich aus dem Integral des gemessenen Flusses bestimmen, aber die räumliche Abdeckung im ersten Jahr der Mission ist nicht ausreichend, um einen durchschnittlichen Fluss zu bestimmen. Es lassen sich aber bereits die Verhältnisse der abfliessenden Ionensorten mit Q(H+)/Q(O+) = 1,9 und Q(He+)/Q(O+) = 0,07 angeben, He+ tritt allerdings nur in sehr geringer Intensität auf. Diese Zusammensetzung weicht erheblich von der Zusammensetzung der äußeren Ionosphäre bei 300 km Höhe ab, die vom Pioneer Venus Orbiter mit n(H+)/n(O+) = 0,1 und n(He+)/n(O+) = 4 × 10−3 bestimmt wurde. Diese Anreicherung von leichteren Ionen im entweichenden Plasma kann zwei Ursachen haben: der Pick-Up-Prozess ist entweder erst bei größeren Höhen wirksam oder die Beschleunigung erfolgt durch Polarisationsfelder, in denen leichtere Ionen höhere Geschwindigkeiten erreichen.

Das Verhältnis von Wasserstoff zu Sauerstoff im entweichenden Plasma ist ein kritischer Parameter für das Verständnis von Wassermangel und Oxidationszustand der Venusatmosphäre. Das hier gemessene Verhältnis von Q(H+)/Q(O+) = 1,9 gilt allerdings nur für Ionen und lässt sich mit Neutraldichtemodellen auf ein Abflussverhältnis von 2,2 für neutrale Atome und Ionen skalieren. Dies kommt dem stöchiometrischen Verhältnis von 2 für das Wassermolekül sehr nahe. Ein leichter Überschuss an H+-Ionen lässt sich durch Protonen des Sonnenwindes erklären, die in geringer Zahl die Magnetosphärengrenze durchdringen können. Dass der gegenwärtig gemessene Abfluss von Wasserstoff und Sauerstoff im stöchiometrischen Verhältnis von Wasser erfolgt, bedeutet, dass sich der Oxidationsgrad der Venusatmosphäre nach der Ausbildung eines Gleichgewichtszustands nicht mehr geändert hat – im Gegensatz zu Mars, bei dem ein höherer Wasserstoff-Abfluss eine fortschreitende Oxidation nahelegt. Diese Beobachtungen sind im Einklang mit Messungen des Pioneer Venus Orbiters. Die absolute Abflussrate und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Atmosphäre wird im weiteren Verlauf der Venus-Express-Mission bestimmt. Das erste Messjahr erlaubt jedoch bereits die Angabe einer unteren Grenze von 1025 Ionen/s für den Ionenabfluss vom gesamten Planeten, der Großteil dieses Abflusses erfolgt durch die Plasmaschicht im Schweif des Planeten [7].

Die beobachtete relative Häufigkeit von He+ im entweichenden Plasma von Venus ist überraschend hoch. Dies könnte wiederum durch die gegenüber Sauerstoff höhere Beschleunigungseffizienz in den Polarisationsfeldern verursacht sein. Im Vergleich zu Mars erzeugt die höhere Schwerkraft der Venus größere Druckgradienten in der Nachtatmosphäre. Dies kann zu entsprechend stärkeren Polarisationsfeldern führen. Während also die höhere Schwerkraft einen thermischen Abfluss aller Atome und Ionen erschwert, scheint sie über die Polarisationsfelder einen Abfluss der leichteren Ionen zu fördern. Das wichtigste Ergebnis dieser Beobachtungen ist allerdings der Nachweis eines noch heute wesentlichen Ionenabflusses durch den Plasmaschweif von Venus. Weitere Beobachtungen im Verlaufe der Mission werden es erlauben, die Abhängigkeit des Abflusses von der solaren Aktivität und damit seine Bedeutung für die Geschichte des Wassers auf Venus zu bestimmen [8].

Planetenoberfläche

Venus-Express konnte zum ersten Mal unter Ausnutzung des spektralen Fensters bei einem Mikrometer Wellenlänge die Temperatur der Planetennachtseite kartieren. Speziell nimmt VIRTIS ein Mosaik der Südhemisphäre auf und zwar während des von der Apoapsis wegführenden Teils des Orbits. VMC hingegen schießt Nahaufnahmen der Äquatorregion, wenn sich die Raumsonde in der Ekliptikebene befindet. So wird eine Verunreinigung durch Streulicht verhindert. Abbildung 5 zeigt ein thermisches Mosaik der Äquatorregion, das VMC während der ersten zwei Jahre der Mission erstellt hat. Die Helligkeitskontraste in diesen Aufnahmen der Nachtseite haben verschiedene Ursachen. Neben der Oberflächentemperatur tragen zu einem geringeren Grade auch das Emissionsvermögen der Oberfläche sowie die Durchlässigkeit der Wolkendecke bei. Diese beiden zusätzlichen Effekte müssen erst herausgerechnet werden. Man nimmt im Allgemeinen an, dass sich die Oberfläche im thermischen Gleichgewicht mit der Atmosphäre befindet. Dann folgt die Temperatur der Topographie und nimmt mit der Höhe gemäß dem atmosphärischen Temperaturgradienten ab. Abbildung 5 zeigt eine Temperaturkarte, in der die wesentlichen Elemente des Oberflächenreliefs klar zu erkennen sind, obwohl die Auflösung aufgrund von Mehrfachreflektionen in der dichten Atmosphäre wohl nicht mehr als 50 km beträgt. Die Beobachtungen decken die Hinemoa Planitia sowie die Beta- und die Phöberegion ab. An den Ostflanken der Phöberegion sind bereits einige Venera- und Pioneer-Forschungssatelliten im Zeittraum von 1970 bis 1980 gelandet.

Das Hauptziel der thermischen Karten ist es, aktive Vulkane aufzuspüren, und nach Korrelationen zwischen dem Emissionsvermögen der Oberfläche und der vom Radar des Satelliten Magellan zwischen 1990 und 1994 erfassten Geologie zu suchen. Die Interpretation dieser Karten stellt eine echte Herausforderung dar, da die Oberfläche ja von einer dicken Wolkendecke mit einer Opazität von 20 bis 40 verschleiert wird. Die ersten beiden Jahre der Mission haben gezeigt, dass es sich bei Venus-Express um eine gelungene Kombination aus einer flexiblen Raumsonde mit einer leistungsfähigen Payload und einer effektiven Bodenkontrolle und Auswertung handelt [9]. Eine Missionsverlängerung wurde bisher bis Ende 2009 genehmigt, eine Verlängerung bis zum Eintreffen des japanischen Venus Climate Orbiter in 2010 wäre sehr wünschenswert. Diese zusätzliche Zeit wird es erlauben, die räumliche und zeitliche Abdeckung der Beobachtungen zu verbessern und die bisher entdeckten Phänomene detaillierter zu untersuchen. Neue Arten des Raumsondenbetriebs werden ebenfalls zur Anwendung kommen. So wird man etwa die Instrumente im „Spot-pointing-Betrieb“ möglichst lange auf einen ausgewählten Punkt ausrichten, um diesen über einen längeren Zeitraum und unter verschiedenen Winkeln zu beobachten. Der „Nadir-Pendel-Betrieb“ erlaubt es, die Dauer der Beobachtungen auf der Tagseite auszudehnen und dabei gleichzeitig die thermischen Toleranzen einzuhalten. Im Juli und August 2008 wurde die Periapsis von 250 auf 180 km reduziert, so dass vor allem die Beobachtungen der Plasmainstrumente einen tieferen Blick in die Ionosphäre der Venus erlauben.

Originalveröffentlichungen

1.
D. V. Titov, H. Svedhem, F. W. Taylor:
The atmosphere of Venus: current knowledge and future investigations.
In: Solar System Update (Springer Praxis Books). (Eds.) Ph. Blondel and J. W. Mason. Springer, Chichester, UK 2006, pp. 87-110.
2.
H. Svedhem et al.:
Venus Express - the first European mission to Venus.
Planetary and Space Science 55, 1636-1652 (2007).
3.
D. V. Titov et al.:
Venus Express science planning.
Planetary and Space Science 54, 1279-1297 (2006).
4.
W. J. Markiewicz et al.;
Morphology and dynamics of the upper cloud layer of Venus.
Nature 450, 633-636, doi: 10.1038/nature06320 (2007).
5.
G. Piccioni et al.:
South-polar features on Venus similar to those near the North Pole.
Nature 450, 637-640, doi: 10.1038/nature06209 (2007).
6.
D. V. Titov, F. W. Taylor, H. Svedhem, N. I. Ignatiev, W. J. Markiewicz, G. Piccioni, P. Drossart:
Atmospheric structure and dynamics as the cause of ultraviolet markings in the clouds of Venus.
Nature 456, 620-623, doi: 10.1038/nature07466 (2008).
7.
S. Barabash et al.:
The loss of ions from Venus through the plasma wake.
Nature 450, 650-653, doi: 10.1038/nature06434 (2007).
8.
J.-L. Bertaux et al.:
A warm layer in Venus cryosphere and high-altitude measurements of HF, HCl, H2O and HDO.
Nature 450, 646-649, doi: 10.1038/nature05974 (2007).
9.
H. Svedhem, D. V. Titov, F. W. Taylor, O. Witasse:
Venus as a more Earth-like planet.
Nature 450, 629-632, doi: 10.1038/nature06432 (2007).
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