Doppelblick auf das Magnetfeld der Sonne

Stärker im Team: Aus Messdaten von Solar Orbiter und SDO hat ein Forscherteam das Magnetfeld an der Sonnenoberfläche erstmals eindeutig bestimmt.

19. September 2023

Zwei Raumsonden sehen mehr als eine – besonders, wenn sie wie der Solar Orbiter der ESA und das Solar Dynamics Observatory (SDO) der NASA aus zwei verschiedenen Blickwinkeln auf ihr Forschungsobjekt schauen. Einem Team von Wissenschaftler*innen unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen ist es nun gelungen, Messdaten beider Sonden vom März vergangenen Jahres so zu kombinieren, dass sich das Magnetfeld an der sichtbaren Oberfläche der Sonne erstmals eindeutig bestimmen lässt. Vor etwa anderthalb Jahren hatten die Forschenden die theoretischen Grundlagen eines solchen Stereo-Blicks auf das Sonnenmagnetfeld beschrieben. In einer aktuellen Sonderausgabe der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics, die Ergebnissen der Solar Orbiter-Mission gewidmet ist, legen sie nun den praktischen Beweis vor, dass ihre Methode funktioniert. Im Teamwork mit SDO kommt die Solar Orbiter-Mission so einem ihrer wichtigsten Ziele einen großen Schritt näher: dem besseren Verständnis des Sonnenmagnetfeldes.

Den meisten Raumsonden und Weltraumteleskopen, welche die Sonne untersuchen, bietet sich ein sehr ähnlicher Anblick. Da sie in der Regel aus Erdnähe auf die Sonne schauen, sehen sie alle – ebenso wie erdgebundene Teleskope – nur die erdzugewandte Seite unseres Sterns. Seit ihrem Start vor etwa dreieinhalb Jahren genießt die ESA-Raumsonde Solar Orbiter einen gänzlich anderen Blick auf die Sonne. Solar Orbiters einzigartige Flugroute führt die Raumsonde nicht nur sehr nah an die Sonne heran (stellenweise auf nur ein Drittel des Abstandes zwischen Erde und Sonne), sondern auch auf elliptischen Bahnen um die Sonne herum. Der Perspektivenwechsel bietet eine faszinierende Möglichkeit: Im Teamwork mit erdnahen Sonden entsteht ein Stereo-Blick auf die Sonne. Diesen Doppelblick hat sich ein Forscherteam, dem 21 MPS-Wissenschaftler*innen angehören, nun zu Nutze gemacht, um eine der größten Einschränkungen bei der modernen Beobachtung des solaren Magnetfelds zu überwinden.

Blinder Fleck der Sonnenforschung

Das Sonnenmagnetfeld gilt als Schlüssel zum dynamischen und wechselhaften Wesen unseres Sterns. Es steuert seinen elfjährigen Aktivitätszyklus, erzeugt die Sonnenflecken an seiner Oberfläche und ist Motor der zum Teil heftigen Sonneneruptionen, die sich als Sonnenstürme auch auf der Erde bemerkbar machen können. Doch alle Teleskope, die das Magnetfeld allein vermessen, haben eine Art blinden Fleck: Aus nur einer Perspektive betrachtet lässt sich nur die Magnetfeldkomponente in Blickrichtung eindeutig bestimmen, nicht aber die Richtung der Magnetfeldkomponente senkrecht dazu. Das Magnetfeld in seiner Gesamtheit war deshalb bisher nicht bekannt. „Damit wir das Verhalten unseres Sterns verstehen können, müssen wir aber sein Magnetfeld so genau wie möglich kennen“, erklärt MPS-Wissenschaftler Dr. Gherardo Valori, Erstautor der aktuellen Studie, die Tragweite des Problems.

Um mit der „Wissenslücke“ umzugehen, wurden in der Praxis bisher sinnvolle Annahmen über die unbekannte Richtung der Magnetfeldkomponente senkrecht zur Beobachtungsrichtung gemacht. „Das ist eine gute und pragmatische Vorgehensweise, aber sie kann an wichtigen Stellen völlig falsche Ergebnisse liefern", so Koautor Dr. Étienne Pariat vom Laboratoire de Physique des Plasmas in Frankreich. Eine wirkliche Lösung können nur zwei Raumsonden bieten, die im Team arbeiten und gleichzeitig aus zwei verschiedenen Blickwinkeln auf die Sonne schauen. „Die Messdaten der einen Sonde können den blinden Fleck der anderen ausgleichen – und andersherum“, erklärt Prof. Dr. Sami K. Solanki, Direktor an MPS und wissenschaftlicher Leiter des Solar Orbiter-Instruments Polarimetric and Helioseosmic Imager (PHI). Auf diese Weise lassen sich alle Komponenten des Magnetfeldes allein aus Beobachtungsdaten ermitteln.

Dass dieser Grundgedanke angewandt auf Messdaten von Solar Orbiter und SDO funktionieren kann, hatte der Forscher zusammen mit Kolleg*innen bereits vor anderthalb Jahren in theoretischen Rechnungen gezeigt. Nun konnte das Team mit Hilfe echter Messdaten den Beweis liefern.

Dieselbe aktive Region im Blick

Die Wissenschaftler*innen werteten dafür Messungen vom 17. März vergangenen Jahres aus. Zu diesem Zeitpunkt war Solar Orbiter nur wenig mehr als ein Drittel des Sonne-Erde-Abstandes von der Sonne entfernt. Solar Orbiters Teleskop PHI, das unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut wurde, fing an diesem Tag Messdaten von der aktiven Region AR12965 auf der Sonnenoberfläche ein. Aktive Regionen zeichnen sich durch besonders starke und komplexe Magnetfelder aus; oftmals enthalten sie Sonnenflecken und erzeugen die größten Sonneneruptionen. Zeitgleich schaute der Helioseismic and Magnetic Imager (HMI) von SDO auf dieselbe Stelle – aus einem Winkel von 27 Grad zu Solar Orbiter. „Beide Instrumente hatten nicht nur verschiedenen Blickwinkel, sondern auch sehr verschiedene Abstände zur Sonne. Auch die Auflösung der Messdaten unterscheidet sich deshalb deutlich“, erklärt Valori die genauen Umstände. Zudem sind beide Instrumente verschieden kalibriert. Doch trotz dieser Schwierigkeiten waren die Bemühungen der Forscher*innen erfolgreich und das Magnetfeld des Sonnenflecks konnte allein aus Beobachtungsdaten vollständig bestimmt werden.

Das Team ist optimistisch, dass sich seine Methode auch auf Regionen mit schwächeren Magnetfeldern anwenden lässt. Zudem setzen die Wissenschaftler*innen ihre Hoffnungen auf Messungen der künftigen ESA-Sonde Vigil. Die Sonde wird der Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne in einem Abstand von etwa 150 Millionen Kilometern folgen und so kontinuierlich auf die Seite der Sonne schauen - und im Teamwork mit anderen Raumsonden einen weiteren Stereoblick auf unseren Stern ermöglichen.

 

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