Das Ende der Dawn-Mission steht bevor

Interview mit Dr. Andreas Nathues vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Leiter des Kamerateams der Weltraummission Dawn, zum bevorstehenden Ende der Mission.

Nach ungefähr 11 Jahren im All endet die NASA-Mission Dawn in den nächsten Tagen oder Wochen. Wann genau, lässt sich nicht sagen und hängt davon ab, wann der letzte Treibstoffrest endgültig verbraucht ist. Bis es soweit ist, wird die Raumsonde ihr aktuelles Forschungsobjekt, den Zwergplaneten Ceres, weiter untersuchen.

Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) ist seit 2003 ein wichtiger Teil der Mission. Das Institut hat das wissenschaftliche Kamerasystem von Dawn federführend entwickelt und während der gesamten Mission betrieben. Auf den Messdaten dieses Kamerasystems fußen viele der wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Mission.

Im Interview blickt MPS-Wissenschaftler Dr. Andreas Nathues, Leiter des Kamerasystems, zurück auf eine elfjährige Mission mit vielen Überraschungen, wichtigen Entdeckungen und unerwarteten Wendungen. Zudem spricht er über die Zukunft der Asteroidenforschung.

Die Mission Dawn hat in den vergangenen 11 Jahren zwei Körper im Asteroidengürtel, der Region zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter, erforscht. Von Juli 2011 bis September 2012 begleitete die Raumsonde den Asteroiden Vesta, seit April 2015 umkreist sie den Zwergplaneten Ceres. Wie viele andere Asteroiden wurden bisher mit Hilfe von Raumsonden untersucht?

Nathues: In den vergangenen Jahren hat es mehrere Weltraummissionen gegeben, die Asteroiden oder andere so genannte kleine Körper zum Ziel hatten. Ganz aktuell ist die japanische Mission Hayabusa 2, die im Juni dieses Jahres den Asteroiden Ryugu erreicht hat. Insgesamt 13 Körper dieser Art haben Raumsonden bisher aus der Nähe untersucht. Hayabusa 1, der Vorgänger der aktuellen Mission, konnte sogar kleinste Gesteinspartikel zurück zur Erde bringen. Die meisten Missionen waren aber Vorbeiflüge, bei denen nur wenige Stunden lang Messdaten gesammelt wurden. Nur die Raumsonde Dawn hat ihre Forschungsobjekte jeweils mehr als ein Jahr lang erkundet. Und es gibt einen weiteren Unterschied: Mit Ausnahme von Vesta und Ceres waren alle bisher besuchten Asteroiden eher Bruchfragmente größerer Körper, also unregelmäßig geformte, vergleichsweise kleine Brocken. Vesta und Ceres sind anders.

In wie fern?

Nathues: Beide sind besondere Vertreter des Asteroidengürtels. Sie sind die beiden massereichsten Körper dort. Vesta misst im Durchmesser etwa 530 Kilometer, Ceres sogar 950 Kilometer. Zudem haben sie anders als andere kleine Körper einen differenzierten inneren Aufbau und setzen sich aus mehreren verschiedenen Schichten zusammen. Vesta und Ceres sind Überbleibsel aus der Entstehungsphase der erdähnlichen Planeten und haben sich sehr verschieden entwickelt.  

Diese Entwicklung zu verstehen und so Erkenntnisse über die Entstehung des Sonnensystems zu sammeln, war eines der Hauptziele von Dawn. Was wurde in dieser Hinsicht erreicht?

Nathues: Viel. Vesta und Ceres spielen in der Tat eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht zu verstehen, wie diese Region des Sonnensystems entstanden ist. Erst durch Dawn haben wir eine gesicherte Vorstellung davon, wie beide Körper im Innern aufgebaut sind und aus welchen Stoffen ihre Oberfläche besteht. Die innere Schichtstruktur von Vesta aus metallischem Kern, Gesteinsmantel und -kruste sowie die Zusammensetzung der Oberfläche beweisen, dass der Körper einst heißt und geschmolzen war. Nur so können sich Stoffe verschiedener Dichte in Schichten ablagern. Ceres hingegen zeigt diesen Aufbau nicht, hatte dafür aber einen unterirdischen Ozean, von dem Reste möglicherweise heute noch vorhanden sind.

Was kann man daraus in Bezug auf ihre Entwicklung schließen?

Nathues: Wir gehen davon aus, dass Vesta in ihrer Entstehungsphase viel radioaktives Aluminium einfing, das durch die Explosion eines früheren Sterns eingetragen wurde. Das radioaktive Material lieferte die Hitze, um Vesta komplett aufzuschmelzen. Da Ceres im Innern weniger strukturiert ist, entstand sie wahrscheinlich erst einige Millionen Jahre später zu einem Zeitpunkt, als das meiste radioaktive Aluminium bereits zerfallen war. Ceres hat sich im Wesentlichen, so konnte Dawn zeigen, durch das Vorhandensein von Wasser verändert. Dawn hat uns ebenfalls gelehrt, dass offenbar der Entstehungsort entscheidend ist. Vesta entstand wahrscheinlich dort, wo sie sich auch heute befindet: im mittleren Teil des Asteroidengürtels. Dadurch zeigt sie eine ähnliche innere Struktur wie die inneren Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars, die in ihrer Frühphase eine vergleichbare Entwicklung durchliefen. Ceres‘ Geburtsort liegt möglicherweise deutlich weiter draußen im Sonnensystem. Darauf weisen Ammonium-Verbindungen hin, die Dawn auf der Oberfläche des Zwergplaneten gefunden hat. Erst später wanderte Ceres demnach in den Asteroidengürtel ein.

Was haben wir noch über Vesta gelernt?

Nathues: Eine der ganz wichtigen Erkenntnisse ist, dass eine bestimmte Klasse von Meteoriten, die auf der Erde gefunden werden, Bruchstücke von Vesta sind. Es handelt sich um HED-Meteorite. Die Großbuchstaben stehen dabei für die Vulkangesteine Howardit, Eukrit und Diogenit. Zudem haben wir gelernt, dass gängige Modelle der Planetenentstehung nicht zutreffen. Ihnen zur Folge müsste es relativ dicht unter der Kruste von Vesta in etwa 20 Kilometern Tiefe das Gestein Olivin geben. Wir finden aber nicht einmal in dem riesigen Einschlagsbecken im Süden von Vesta eine nennenswerte Menge davon. Es muss also mindestens etwa 40 Kilometer tief liegen. Eher unerwartet haben wir stattdessen kohlenstoffreiche Mineralien entdeckt. Diese wurden durch die Einschläge anderer Asteroiden eingetragen. Die gesamte Oberfläche von Vesta wurde über Jahrmilliarden nach ihrer Entstehung durch Einschläge umgeformt, so dass nichts von den ursprünglichen Oberflächenstrukturen erhalten blieb.  

Und Ceres?

Nathues: Ceres war die große Überraschung der Dawn-Mission. Zuvor gingen einige  Wissenschaftler davon aus, dass dies ein eher einfach aufgebauter Körper ist. Es gab Theorien, die seine geringe Dichte mit hoher Porosität erklärten. Heute wissen wir, dass dies falsch ist. Unter der Oberfläche von Ceres befinden sich unterirdische Wasserreservoirs, die zum Teil bis in die jüngere geologische Vergangenheit als salzhaltige Lösung austraten. Spuren davon finden sich in den charakteristischen hellen Flecken von Ceres, etwa im Occator-Krater, der bereits in der Anflugphase herausstach. Die Flecken bestehen aus Salzablagerungen. Wir glauben, dass das ausgetretene Wasser verdampft ist und so eine dünne Exosphäre aus Wasserdampf speisen konnte.

Mitte 2017, nach einem mehr als zweijährigen Aufenthalt bei Ceres, stand zur Debatte, ob Dawn den verbleiben Treibstoff nutzen sollte, um Ceres zu verlassen und einen dritten Körper im Asteroidengürtel anzusteuern. Wie wurde die Diskussion damals geführt?

Nathues: Bereits im Juni 2016 war Dawns Primärmission zu Ende gegangen. Die NASA verlängerte den Ceres-Aufenthalt um ein Jahr. Danach stand weiterhin eine Restmenge an Treibstoff zur Verfügung; Optionen wurden geprüft. Eine dieser Optionen war Adeona. Der Asteroid wäre damals erreichbar gewesen. Zwar nur im Vorbeiflug, aber immerhin. Adeona ist aus vielen Gründen ein spannendes Forschungsobjekt. Unter anderem hätte man dort der Frage nachgehen können, ob auch kleinere Körper mit einem Durchmesser um 150 Kilometer zumindest zum Teil im Innern differenziert sein können.

Die Entscheidung fiel gegen Adeona und zugunsten eines weiteren Aufenthalts bei Ceres aus. Warum?

Nathues: Eine solche Entscheidung ist immer sehr schwierig. Auf der einen Seite steht ein völlig unerforschtes Objekt, das natürlich unsere Neugier weckt, auf der anderen ein bekanntes, sehr spannendes, das man mit dem verbleibenden Treibstoff noch gründlicher untersuchen könnte. Es gilt abzuwägen, was für Ergebnisse zu erwarten sind und wie wichtig diese sind. Auch die Risiken und Kosten müssen berücksichtigt werden. Die NASA kam damals zu dem Schluss, dass die Aussichten bei Ceres besser seien. Eine wichtige Rolle spielte dabei, dass der sonnennächste Punkt auf Ceres‘ Umlaufbahn um die Sonne noch bevorstand. Wenn Ceres Wasserdampf emittiert, müsste dieser Prozess dort am stärksten sein. Zudem hofften die Kollegen von Dawns Detektor für Gamma-Strahlung und Neutronen auf verbesserte Messdaten zur chemischen Zusammensetzung von Ceres‘ Oberfläche. 

Hat sich diese Entscheidung ausgezahlt?

Nathues: Auf jeden Fall. Die vergangenen Monate haben noch einmal all unsere Erwartungen übertroffen. Seit Juni kreist Dawn in stark elliptischen Umlaufbahnen um Ceres, die die Raumsonde auf etwa 35 Kilometer an den Zwergplaneten heranführen. Wir haben Aufnahmen gemacht mit einer Auflösung von weniger als fünf Metern pro Pixel. Das ist sensationell!

Kann die gesamte Oberfläche von Ceres mit dieser Auflösung abgelichtet werden?

Nathues: Nein, nicht mal ansatzweise. Da mittlerweile drei der vier Reaktionsräder der Sonde ausgefallen sind, verbraucht das Ausrichten der Sonde zur Erde zur Datenübermittlung viel Treibstoff. Wir konzentrieren uns deshalb auf die wichtigsten Stellen. Hauptsächlich haben wir Ausschnitte eines Streifens aufgenommen, der sich vom Occator-Krater bis zum südlicher gelegenen Uvara-Krater erstreckt.

Wann genau die Mission endet, kann nur geschätzt werden. Die NASA gibt als wahrscheinlichsten Zeitraum Mitte September bis Mitte Oktober an. Ein früherer oder späterer Zeitpunkt sei aber auch möglich. Warum ist dies so schwer zu bestimmen?

Nathues: Die Menge des verbleibenden Treibstoffs kann bei Sonden nicht direkt gemessen werden, wie beispielsweise im Öltank einer Heizung. Sie wird anhand des im Tank herrschenden Druckes berechnet. Dabei verbleibt eine Unsicherheit.

Gibt es noch eine Aufnahme, auf die Sie unbedingt hoffen?

Nathues: Von Ceres selber nicht mehr. Alle Teile des Occator-Kraters, an denen uns sehr gelegen war, haben wir im Kasten. Die Aufnahmen, die jetzt noch kommen, sind allerdings auch sehr wichtig. Sie helfen uns dabei, unsere Kameradaten erneut und abschließend zu kalibrieren. Ohne Kalibrierung sind es nur schöne Bilder, nicht aber wissenschaftliche Daten.

Was wird sich in der weltraumbasierten Asteroidenforschung in den nächsten Jahren tun?

Nathues: In der nahen Zukunft noch so einiges, danach weniger. Die japanische Sonde Hayabusa 2 hat im Juni den Asteroiden Ryugu erreicht und soll sogar drei kleine Landeeinheiten absetzen. Die NASA-Mission OSIRIS-Rex kommt im Dezember dieses Jahres am Asteroiden Bennu an. Bei beiden Objekten handelt es sich allerdings nicht mehr um Körper des Asteroidengürtels, sondern um so genannte Near-Earth Objects, die der Erde vergleichsweise nahe kommen. 2022 startet dann eine weitere Mission: Die NASA-Mission Psyche zum gleichnamigen metallischen Asteroiden. Die ESA leitet derzeit leider keine Asteroidenmission.

Hätten Sie ein Wunschziel für eine Asteroidenmission?

Nathues: An erster Stelle auf jeden Fall Pallas. Der Asteroid ist etwa so groß wie Vesta, kreist aber nicht in derselben Ebene um die Sonne wie die anderen Asteroiden und Planeten, sondern stark dagegen geneigt. Dadurch sind möglicherweise seit seiner Entstehung vergleichsweise wenige Körper auf Pallas eingeschlagen; der Asteroid könnte also noch recht ursprünglich sein. Leider ist er auch schwer zu erreichen: Es braucht viel Energie, um die Bahnebene der Erde zu verlassen. Ansonsten würden mich aktive Asteroiden interessieren. Das sind Körper, die zwar im Asteroidengürtel ihre Bahnen ziehen, dabei aber kometenähnliche Aktivität zeigen. Ein wenig wie Ceres. Es ist denkbar, dass diese Körper Bruchstücke größerer Objekte sind, das es einst im Asteroidengürtel gegeben hat.

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